Katerstimmung (German Edition)
ja!», rufe ich vergnügt, ohne einen blassen Schimmer zu haben, worum es sich dabei handelt. Ich falte den Zettel auf und erschrecke. Aber es ist zu spät. Der Spanier hat ihn mir schon aus der Hand genommen und kugelt sich zum Eingang.
«Kommen Sie mit, in ein Viertelstunde es geht los.»
Oh mein Gott. Ich würde Wilhelm ja einiges zutrauen. Nach gefühlten zwanzig Semestern kann man schon mal unvorbereitet einen Vortrag halten. Machen viele Dozenten ja täglich. Aber dann über «Das magische Stuttgarter Dreieck: Schiller, Hölderlin, Mörike» oder «Hesses Siddhartha – Askese, Autoreflexion, Aufzählung». Stattdessen geht sie in einer Viertelstunde los: die wissenschaftliche Abhandlung über Peter Wackels Meisterwerk «Bist du gut zu Vögeln?».
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Verballermannhornung
Lenny und ich suchen uns einen Platz in der letzten Reihe des gutgefüllten Vortragssaals. Wenigstens sieht hier keiner so aus, als könnte ihr oder ihm der Name Peter Wackel aus dem letzten Urlaub bekannt vorkommen. Beigefarbene Jacketts, zugeknöpfte Blusen, vereinzelt Anzüge. Auf der Bühne spricht eine Spanierin mit strengem Zopf für uns unverständliche Dinge. Liegt weniger an ihrer Aussprache als vielmehr an der erhöhten Fremdwortdichte. Laut an die Wand projizierter Folie geht es um «Die Synthese femininer Gestalten». Freundlicherweise hat die Profesora für Minderbemittelte wie uns noch ein erklärendes Bild daruntergesetzt. Darauf macht sich ein Jüngling in blauem Gewand leidenschaftlich über die Statue einer nackten Frau her. Da haben wir es wieder. Je höher das Niveau, desto versauter wird es. Es ist wie nachts beim Zappen: Auf 9-live sprangen dir hier und da mal Titten entgegen, aber die wirklichen Schweinereien laufen auf arte . Als ihre nächste Folie mit «Die Büchse der Pandora» überschrieben ist, habe ich endgültig den Eindruck, in Lennys Pornosammlung angelangt zu sein.
Auf einem Plakat am Rednerpult entdecke ich den Titel der heutigen Veranstaltung: «Bilderwelten – Weltenbilder». Boah. Da haben sich die alten Akademiker mal wieder auf dem Wortspielplatz ausgetobt. Es gehört zu den wenigen Erinnerungen, die mir aus meiner Studienzeit geblieben sind: Bei den BWLern darf eine Vorlesung gerne «Bilanzierung» heißen, bei den Juristen «Strafrecht». Aber hältst du als Geisteswissenschaftler etwas auf dich, dann gib deiner Veranstaltung einen mysteriösen Titel. Spalte Wörter, drehe sie um, stelle Fragen. Nenne deine Vorlesung nie «Westliche Jugendkultur im 20. Jahrhundert». Abstrahiere! Nenne sie «Kulturfragen». Besser noch «Kulturfragen. Kultur fragen?» oder «Kulturfragen – Fragekultur?». Und gehe später nie wieder auf den Veranstaltungstitel ein. Er schwebt wie ein Deckname über einer geheimen Mission, deren Ausgang niemand kennt. Am wenigsten der Dozent.
Ein vornehmer Applaus reißt mich aus meinen Tagträumen – Traumtagen? La Profesora schreitet von der Bühne. Die Cordkugel und ein etwas unsicher wirkender Wilhelm erscheinen. Der kleine Dicke begrüßt Dr. Kamphaus herzlich, dankt für die weite Anreise aus Berlin und betet ein paar Karrierestationen des Ehrengastes runter. Wilhelm muss sich wie ein CIA-Agent fühlen, der vor einem schwierigen Spionageauftrag in Nordkorea seine neue Identität präsentiert bekommt. Er war lange an der Uni Prag tätig, hat mehrere Bücher über Medialität kultureller Figurationen geschrieben und wurde mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Bescheiden nickt unser Kamphaus-Ersatz. Dann legt er verheißungsvoll die Folie auf den Projektor.
«Ich … ich möchte Ihnen heute ein besonderes Werk präsentieren, das auf den ersten Blick eher oberflächlich erscheint, aber einen Schatz von versteckten Metaphern hortet.»
Schon mal nicht schlecht. Das klingt nach «Bilderwelten – Weltenbilder». Wilhelm wirkt noch etwas zögerlich, aber ich nehme ihm sein Dozentengebrabbel schon voll ab. Die meisten Gäste studieren intensiv die Zeilen auf der Leinwand.
«Vielleicht lese ich Ihnen das Werk zu Beginn einmal vor», fährt er fort, räuspert sich und setzt mit sonorer Stimme an. «Bist du gut zu vögeln? Von Peter Wackel.» Bedeutungsschwanger trägt er die Zeilen mit Pausen und Betonungen vor, als handele es sich um ein frühes Gedicht Goethes:
«Ich glaub, du hast ’en Vogel», die Frage kenn ich schon,
Gestellt von 100 Mädchen, und dann laufen sie davon.
Vor kurzem lief mein Lieblingsfilm, ich musst ins Kino gehen,
Der Hitchcock
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