Katerstimmung (German Edition)
uns gewöhnt. Brav fährt er dem Polizeiauto hinterher.
«Alter, wieso kannst du eigentlich den Kommentatorentext vom Wunder von Bern?», fragt Lenny.
«Ich habe da mal eine Hausarbeit in Sprachwissenschaft drüber geschrieben. Das CP-IP-Modell der generativen Transformationsgrammatik am Beispiel eines Fußballkommentars. Das ist interessant, weil Chomsky …»
«Drrrrrrrrrr», imitiert Lenny eine Pausenglocke. «Oh, schade, Stunde vorbei.»
Mein Handy piept. Verhöhnt mich Ana jetzt noch mit einer Abschiedsnachricht? «Guten Flug, Penner. Ich meld mich in neun Monaten» oder so?
«Hallo, Max, was machen die Namen? Grüße, Marty.»
Auch die noch. Ich arbeite auf deutlich zu vielen Baustellen. Und auf der hier gibt’s ohnehin nichts mehr zu tun. Das Brasilianerhaus ist komplett zusammengefallen. Beziehungsweise in die Tiefgarage. Egal. Konflikte offensiv angehen!
«SMS oder Mail war mir einfach zu langweilig. Jumping Communication! Schau mal bei bild.de auf der Startseite. Mein Favorit: Wilhelm.» Entweder werde ich morgen Art Director oder entlassen.
Wir folgen unserem Navi auf vier Rädern in ein kleines Städtchen. Wohl um sich ganzjährig am warmen Klima zu ergötzen, hängt an jeder zweiten Straßenecke eine kleine LED-Tafel mit der aktuellen Temperatur und Uhrzeit. Die Angaben sind präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Wenn es von DJ Bobo zusammengeschraubt wurde. Auf unserer zehnminütigen Fahrt durchs Zentrum erleben wir angeblich ein Wechselbad zwischen 24, 28 und 35 Grad. Die wenigen trockenen Stellen auf Carlos’ T-Shirt, die im Schweißmeer wie eine einsame Inselgruppe im Pazifik aussehen, sprechen klar gegen die 24. Als mir die Uhrzeit 11:66 angeboten wird, verliere ich mein Vertrauen in die spanische Technik endgültig. Gegen 11:70 Uhr fahren wir vor einem modernen weißen Gebäude mit länglichen, rotgetönten Fenstern vor. An der Fassade hängt ein riesiges Banner: «9. spanischer Germanistentag/Congreso de la Asociación Española de Germanistas». Ernesto hat Wilhelms Ablenkungsmanöver wohl für eine Gedichtrezitation gehalten.
«Scheiße und jetzt?», fragt Lenny.
«Wir steigen aus, warten, bis La Policía weggefahren ist, und hauen ab.»
Artig bedanken wir uns bei unserem Freund und Helfer, als ein kleiner rundlicher Spanier mit Brille und Cordsakko auf uns zustürmt: «Ah, Sie haben es doch noch geschafft! Herr Dr. Kamphaus, ich nehme an?»
Zielstrebig geht er auf Wilhelm zu und schüttelt ihm die Hand. Ich habe ja immer gesagt, der kann als Uni-Dozent durchgehen. Wilhelms Gesichtszüge entgleisen komplett.
«Ja, nee, das kann man so nicht …»
«Genau! Und wir sind seine wissenschaftlichen Mitarbeiter», unterbreche ich ihn.
«Und das ist unser Fahrer Carlos.» Geistesabwesend begrüßt auch er unseren Gastgeber. Selbst wenn im dekorativen, quadratischen Wasserbecken vor dem Eingang gleich ein totgeschossener Hase Schlittschuh liefe – Carlos würde nichts mehr überraschen.
«Max!», zischt Wilhelm energisch. Die Cordkugel schaut zu ihm hoch. Wilhelm sieht mich an. Ich deute auf Ernesto. Wir müssen das jetzt durchziehen.
«Max…imal erfreut bin ich, heute bei Ihnen zu Gast zu sein», rettet sich Wilhelm. «Dass wir sogar von der Polizei hierhergeleitet werden!»
«Schließlich Sie sind unser Ehrengast», schmeichelt der kleine Dicke beinahe akzentfrei.
Ernesto Estricto verabschiedet sich und steigt wieder in seinen schwarz-weißen Citroën C4 Picasso.
«I go also», murmelt Carlos und schlappt zu seinem Wagen.
«Carlos! Wait!», versuche ich ihn aufzuhalten, doch er dreht sich nur kurz um:
«If you have another problem, please don’t call me again!»
Wir warten winkend in der prallen Mittagssonne, bis die beiden Wagen aus unserem Blickfeld verschwunden sind. Der heiße Asphalt lässt die Luft verschwommen zittern, wie man es sonst nur von Formel-1-Rennen kennt.
«So, Sie sind vorbereitet für Ihre Vortrag?»
«Vortrag? Äh, ja sicher!», stammelt Wilhelm.
«Gut, dann ich brauche nur noch den Text für die Folie.»
«Folie?»
«Für den Projektor.»
«Ah, der Text! Stimmt. Den … den haben meine Mitarbeiter.»
«Was?», ruft Lenny. Die Cordkugel blickt ihn erwartungsvoll an und wedelt mit zwei Klarsichtfolien. «Er hat ihn!» Lenny zeigt auf mich.
Na, vielen Dank. Ich greife in meine Hosentaschen, wohl wissend, dass sich dort vermutlich kein Text befindet. Doch irgendwas ist da. Gedankenlos ziehe ich ein gefaltetes Blatt Papier hervor.
«Ah, da ist er
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