Kates Geheimnis
entschieden.
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»Warum?« Jill wusste, dass ihr Lächeln ziemlich schief ausfiel. »Es ist meine Suche. Du machst heute keinen besonders unternehmungslustigen Eindruck.
Es macht mir nichts aus, wenn du lieber hier bleiben möchtest.«
Er erhob sich. »Ich bin nicht unternehmungslustig.
Ich bin müde.« Und er warf ihr einen viel sagenden Blick zu.
Jill errötete. Aber immerhin sprach er die vergangene Nacht überhaupt an.
Er zuckte seufzend mit den Schultern. Er wirkte so ernst. »Ich habe diese Woche einen Haufen Arbeit, also kann ich dir nicht mehr helfen, wenn wir wieder in London sind.« Er zögerte.
»Was ist?«
»Ich geb’s zu. Ich bin auch neugierig, was mit deiner Urgroßmutter passiert ist, Jill.« Ihre Blicke trafen sich. Alex schaute als Erster weg. Sie verstand nicht, warum. Er gehörte nicht zu den Männern, denen ein sexuelles Erlebnis wie das, das sie letzte Nacht geteilt hatten, peinlich ist.
Und völlig aus dem Nichts heraus durchzuckte sie ein höchst unwillkommener Gedanke. Er war nicht ehrlich zu ihr. Irgendetwas war nicht in Ordnung . Er log sie an . Jill spürte es genau.
Alex und Jill stiegen aus dem Landrover und gingen auf die kleine alte Kirche zu. Sie stand direkt 482
neben der Straße hinter einer Mauer und war von einer hübschen, saftigen Wiese, Heckenrosen und mächtigen alten Eichen umgeben. Ein paar Schritte weiter befand sich das Pfarrhaus, es war nur durch einen gepflasterten Weg und eine Rosenhecke von der Kirche getrennt. Die Kapelle ähnelte den unzähligen anderen jahrhundertealten Kirchen, die Jill aus Reiseführern und aus dem Fernsehen kannte. Sie war kaum größer als ihre Wohnung daheim.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?« Der Pfarrer kam in einem dunklen Anzug mit dem typischen weißen Kragen auf sie zu.
»Pfarrer Hewitt?«, fragte Alex und ging ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. »Ich bin Alex Preston, Lord Collinsworths Neffe. Ich habe vor ein paar Minuten angerufen.«
Die beiden Männer gaben sich die Hand, und Jill wurde vorgestellt. Sie war überrascht, dass der Pfarrer so jung war - nicht viel älter als sie selbst. Alex erklärte ihr Anliegen, und Hewitt führte sie in einen kleinen Raum voller Bücher hinter der Kapelle, wo die Register der Kirche aufbewahrt wurden. Er fand die Unterlagen, die sie suchten, und legte das große Buch auf einen alten, verschrammten Tisch in der Mitte des Raumes. Es war so groß wie ein Atlas, der dunkelbraune Einband abgegriffen und altersschwach, die Seiten vergilbt und rissig. »Jeder, der 1909
gestorben ist und hier auf unserem Friedhof begraben 483
wurde, ist in diesem Buch vermerkt«, sagte er. »Die Listen sind natürlich chronologisch geordnet.«
Alex dankte ihm, und als er und Jill sich über das Buch beugten, verließ er den Raum. Die beiden Fenster waren geöffnet, und nur der Gesang der Vögel war zu hören. Alex blätterte das Buch durch, ließ den Finger über unzählige Zeilen und Spalten von Daten gleiten, bis der 17. Mai 1908 vor ihnen erschien. »Eine Woche nach der Geburt meines Großvaters«, murmelte Jill. Ein Mann namens George Thompson war an jenem Tag auf dem Friedhof der kleinen Kirche beerdigt worden.
Der folgende Eintrag war vom 30. September 1908.
Der darauf vom 3. Dezember desselben Jahres.
Danach kamen nur noch Einträge von 1909.
Jills Herz raste. Sie fuhr mit dem Finger die Spalte hinunter zum 21. Mai jenes Jahres. Plötzlich verflog die Aufregung. Für den
12. Januar 1909 gab es
keinen Eintrag. Katherine Adeline Gallagher stand nicht auf der Liste.
»Da muss jemandem ein Fehler unterlaufen sein«, sagte Jill und überflog alle aufgeführten Namen der hier Beerdigten, aber Katherine Adeline Gallagher war nicht dabei. »Blätter noch mal zurück, Alex«, drängte sie.
Er warf ihr einen mitleidigen Blick zu und blätterte eine Seite zurück, aber da waren sie schon bei 1907.
Dann blätterte er vorwärts, zum Sommer 1909.
Katherine Adeline Gallagher war nirgends aufgeführt; 484
offensichtlich hatte es auf dem Friedhof der Hinton Vale Chapel für sie weder einen Gottesdienst noch ein formelles Begräbnis gegeben.
Jill starrte Alex an, als er das Buch so fest zuschlug, dass der Knall in dem steinernen Gemäuer widerhallte. »Das ist ja merkwürdig.«
Er antwortete nicht.
»Jemand hat sie begraben, aber heimlich, still und leise.«
»Anscheinend«, sagte er.
»Wie haben die das gemacht? Sich mitten in der Nacht mit Hacke und Schaufel hier eingefunden?«
»Ich
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