Kates Geheimnis
besser voran.«
»Hal hatte in der U-Bahn nichts zu suchen und ebenso wenig in New York.« Thomas sah Jill an. Es war klar, was er damit meinte. Es war ihre Schuld.
Alles war ihre Schuld.
Sie war völlig fertig, elend, und sie hatte sich noch nie kraftloser gefühlt, aber jetzt reichte es ihr.
»Entschuldigen Sie. Er hatte in New York sehr wohl etwas zu suchen. Ich habe Ihren Bruder geliebt. Er hat mich geliebt! Wir waren glücklich!« Aber selbst 52
während sie das sagte, lauerte ihr verdammtes letztes Gespräch in ihrem Hinterkopf und flüsterte ihr Zweifel ein, die sie nicht haben sollte - wie konnte er ihr das antun? »Ich habe noch nie jemanden so sehr geliebt. Ich werde nie wieder jemanden so lieben«, hörte sie sich sagen. Sie verstummte. Gleich würde sie in Tränen ausbrechen.
Diesmal reichte ihr niemand ein Taschentuch. Der riesige Salon lag in tiefem Schweigen, und Jill fand ein Kleenex in ihrer Tasche. Sie wischte sich die Augen und weigerte sich, Thomas, Alex oder Lauren anzusehen. Aber sie hatte in ihren Gesichtern gelesen.
Niemand glaubte ein Wort von dem, was sie gesagt hatte; sie alle hielten sie für eine Lügnerin.
Jill holte tief Luft, versuchte ihre Nerven zu beruhigen und ihre Tränen zurückzuhalten. »Das ist die Wahrheit«, sagte sie in Richtung der drei.
»Nun«, sagte Thomas schließlich. »Wir könnten tagelang über Ihre Version der Wahrheit diskutieren, nicht wahr?«
»Nein«, sagte Jill. »Das können Sie nicht.«
Thomas’ Unterkiefer spannte sich. Sie starrten einander an. Diesmal weigerte Jill sich, unter Thomas’ feindseligem Blick zuerst die Augen zu senken.
Thomas lächelte grimmig - es war eher ein verzerrtes Kräuseln der Lippen , drehte sich dann plötzlich um und verließ den Raum. Jill merkte, dass 53
sie immer noch heftig zitterte. Eine solche Begegnung hatte sie noch nie zuvor erlebt.
»Wie lange werden Sie bei uns bleiben, Miss Gallagher?«
Jill blickte in Alex’ durchdringende blaue Augen.
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Mein Flug geht übermorgen.«
Alex nickte. »Wenn Sie mir die Einzelheiten sagen, sorge ich dafür, dass einer der Fahrer Sie nach Heathrow bringt.«
Jill wusste, dass er sie gar nicht schnell genug wieder loswerden konnte und dass allen ihre Abreise viel zu spät erschien. Aber sie konnte ihnen nicht anbieten, früher zu fliegen - eine Umbuchung konnte sie sich nicht leisten. Das Ticket, das sie erst einen Tag vor Abflug gebucht hatte, hatte sie ohnehin schon über tausend Dollar gekostet. Geld, das sie nicht einfach so übrig hatte. Jill schwieg ärgerlich. Warum wäre es der ganzen Familie offensichtlich lieber gewesen, wenn sie Hal allein nach Hause geschickt hätte? Es war ihr gutes Recht, an der Beerdigung teilzunehmen.
»Bitte folgen Sie mir«, sagte Lauren, doch es klang wie ein Befehl.
Jill blickte in ihr versteinertes Gesicht. Sie konnte es kaum erwarten, aus dem Wohnzimmer zu fliehen.
»Nach Ihnen.«
»Einen Moment noch, Miss Gallagher.«
54
Jill erstarrte und drehte sich zu Alex um. »Ja?«
»Ich möchte Sie warnen«, sagte er bestimmt und baute sich fast drohend vor ihr auf. »Diese Familie hat einen schweren Schock erlitten. Sie sind eine Fremde in unserer Mitte. Ich will nicht, dass Sie alles noch mehr auf den Kopf stellen. Deshalb möchte ich darum bitten, dass Sie sich in den zwei Tagen bis zu Ihrer Abreise möglichst wenig bemerkbar machen.«
Jill starrte ihn an, das Blut rauschte ihr in den Ohren. »Ich glaube nicht, dass Sie mich um irgendetwas bitten«, presste sie schließlich hervor.
»Sie erteilen mir einen Befehl.«
»Ich gebe Ihnen einen guten Rat«, erwiderte er ungerührt.
Jill schlang die Arme beschützend um sich. Schon wieder schossen ihr Tränen in die Augen. »Ich weiß, dass ich hier nicht willkommen bin. Ich schätze, ich hätte Hal allein nach Hause schicken sollen. Aber das konnte ich einfach nicht.«
Sie bemerkte ein kurzes Flackern in seinen blauen Augen. »Das hat niemand gesagt, Miss Gallagher.«
Jill schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid, wenn mein Besuch hier alles auf den Kopf gestellt hat.«
Ihre Stimme war voll Bitterkeit. »Aber er ist in meinen Armen gestorben. Wie hätte ich ihn nicht selbst nach Hause bringen können? Es ist mein gutes Recht, auf seine Beerdigung zu gehen!« Sie spürte Tränen über ihre Wangen laufen. Wütend starrte sie 55
Lauren an. »Wir sind nicht nur miteinander ausgegangen. Wir waren so gut wie verlobt - eine Woche
bevor
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