Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kates Geheimnis

Kates Geheimnis

Titel: Kates Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
anderen Stoffe - Brokat, Seide und Damast - waren edel, aber alt und verblasst.
    Jill schlenderte durch den Raum, berührte die hübschen Porzellanlampen und einen kleinen, bunt bemalten chinesischen Paravent, der in einer Ecke stand. War Hal von Sinnen gewesen? Nicht in einer Million Jahre hätte sie in seine Familie gepasst.
    59

    Jill blieb reglos stehen. Auf einmal begriff sie die schreckliche Wahrheit.
    Hal hatte sich in sie verliebt. Aber als ihre Beziehung sich gefestigt hatte, war ihm klar geworden, dass er sie niemals mit nach Hause bringen konnte. Er hatte sie heiraten wollen - aber dann erkannt, dass seine Familie sich mit Klauen und Zähnen gegen diese Ehe wehren würde. Die Sheldons hätten nie eine gewöhnliche kleine Tänzerin in ihrer Mitte geduldet. Und deshalb hatte er es sich anders überlegt.
    Jill sank auf das Bett.
    Hal hatte seine Familie geliebt. Schon vom Beginn ihrer Freundschaft an hatte er ständig von ihr gesprochen, voll Liebe und Stolz.
    Jill hatte erkannt, dass seine Familie der Nabel seiner Welt war, und da sie selbst keine Familie hatte, war das einer der wichtigsten Gründe gewesen, warum sie sich in ihn verliebt hatte.
    Sie schloss die Augen. Hal hatte wenig Ähnlichkeit mit seinem Bruder, seinem Cousin oder seiner Schwester gehabt. Er war nicht arrogant gewesen, und er hatte nicht mit Geld um sich geworfen. Jill hatte nicht gelogen, als sie behauptet hatte, dass er, so lange sie ihn kannte, kaum jemals seinen Chauffeur bemüht hatte. Er hatte lieber Jeans und T-Shirts getragen als Anzüge oder Sportsakkos. Jill hatte sich nie daran gestört, dass er seinen Lebensunterhalt nicht durch die Fotografie bestritten hatte. Er war Künstler 60

    gewesen, genau wie sie, und sie hatte wirklich an ihn geglaubt. Sie war immer überzeugt davon gewesen, dass er eines Tages den Durchbruch zu einer großen Karriere schaffen würde.
    Plötzlich begannen sich Einzelheiten wie bei einem Puzzle zu einem Bild zusammenzufügen. Hal war so anders als seine Familie. Egal, wie sehr er sie geliebt hatte. Was, wenn er nach New York gegangen war, um ihnen zu entkommen, und dem Druck, der auf ihm als Sheldon lastete - auf dem anderen Sheldon, fast schon dem schwarzen Schaf?
    Wenn dem so war, hätte er in einem schlimmen Zwiespalt gesteckt. Aber er hatte seinen inneren Kampf so gut verborgen - bis zu ihrem endgültig letzten Gespräch.
    Jill bekam es mit der Angst zu tun. Sie drückte ihr Kopfkissen an sich, sie wollte diese Gedanken nicht weiter verfolgen. Hal hatte am Ende gewusst, dass er sie nicht mit nach Hause bringen konnte, ohne sich zwischen ihr und seiner Familie entscheiden zu müssen. Jill weinte.
    Und als ihr Schluchzen schließlich verebbte, lag sie da, starrte an die Decke und dachte sich, dass sie niemals erfahren würde, wie er sich aus diesem Dilemma befreit hätte. Jill wünschte, sie wäre nicht nach London gekommen.
    61

    Sie wünschte verzweifelt, dass Hal noch lebte und sie beide noch in New York wären, mitten in ihrem Märchen. Denn so erschien es ihr allmählich - als ein dummes Märchen.
    Aber es war ein Märchen, dass sie nie in ihrem Leben vergessen würde.
    Jill konnte nicht schlafen.
    Ihre Gedanken quälten sie. Und sie vermisste Hal so schrecklich, dass es bis in jeden Winkel ihres Wesens schmerzte.
    Aber vielleicht war das Schlimmste daran, an die nachtschwarze Decke zu starren und sich so entsetzlich allein zu fühlen - so entsetzlich allein zu sein - wieder einmal.
    Jill knipste die Nachttischlampe an. Sie konnte Gott bis in alle Ewigkeit anflehen, aber Hal blieb tot, und nichts konnte daran etwas ändern. Doch irgendwie würde sie es überstehen - so, wie sie den Verlust ihrer Eltern vor dreiundzwanzig Jahren überstanden hatte.
    Aber diesmal war der Verlust anderer Art. Diesmal würde sie sich an ihre Erinnerungen klammern. Sie wollte diese Zeit niemals vergessen, selbst wenn das bedeutete, alle ihr verbleibenden Jahre mit diesem Schmerz zu leben. Was sie jetzt tun musste, um nicht durchzudrehen, war, ihre Verwirrung und ihre Zweifel beiseite zu schieben. Denn das war eine Last, die sie einfach nicht bewältigen konnte.
    62

    Abrupt stand Jill auf. Sie konnte nicht einschlafen, und es würde sie nur verrückt machen, rastlos im Bett zu liegen, während ihre Gedanken unablässig zwischen ihren schlimmsten Befürchtungen und ihren nun unerreichbaren Träumen hin und herpendelten.
    Sie musste etwas tun, sie brauchte Ablenkung, denn sie fürchtete sich schrecklich davor, die

Weitere Kostenlose Bücher