Kates Geheimnis
beenden, Miss Gallagher. Das Theater und jegliches Bemühen um Höflichkeit. Mein Bruder ist tot, und wenn er nicht in New York gewesen wäre, wäre er heute noch springlebendig. Ich kann mir vorstellen, was Sie hier wollen, und ich sage Ihnen hiermit: Sie werden es nicht bekommen.«
Jill verstand kein Wort. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
Aber Thomas war noch nicht fertig. Mit glühend rotem Gesicht sagte er: »Hal hatte nie die Absicht, Sie mit nach Hause zu bringen.«
Jill erstarrte und konnte nicht antworten, weil sie sich ihre allerletzte Unterhaltung mit Hal ins Gedächtnis rief. Entsetzen hatte sie gepackt. Was, wenn Hal seiner Familie gesagt hatte, dass er an ihrer gemeinsamen Zukunft zweifelte?
Alex wandte sich um und wollte offenbar das Gespräch beenden. »Lauren, warum lässt du nicht ein paar Sandwiches auf Miss Gallaghers Zimmer bringen? Sie sieht müde aus. Ich bin sicher, dass sie sich gern für heute zurückziehen würde. Wie wir alle.«
Lauren starrte Alex an, als habe sie kein Wort verstanden. Jill, die inzwischen am ganzen Körper zitterte, schaute hilflos von einem zum anderen und sah dann Lauren nach, die sich schließlich widerwillig aufmachte, um Alex’ Vorschlag in die 49
Tat umzusetzen. »Danke«, sagte Jill zu Alex und hoffte auf ein freundliches Lächeln.
Doch als er sie ansah, erkannte sie kaum verhohlenen Hass in seinen Augen.
»Wie lange haben Sie meinen Bruder gekannt?«, fragte Thomas fordernd.
Jills Blut gefror. »Acht Monate.«
»Wie haben Sie sich kennen gelernt?«, bohrte Thomas weiter.
Jill merkte, dass sie instinktiv Alex’ Blick suchte, obwohl sie wusste, dass sie von ihm keine Unterstützung zu erwarten hatte. Alex sah sie an und wandte sich schließlich an seinen Cousin. »Tom, das hat Zeit bis morgen.«
»Die Frage ist völlig berechtigt«, sagte Thomas.
»Alle Fragen. Sie taucht hier mit seiner Leiche auf. Er liegt in einem Sarg, verdammt noch mal. Ich will wissen, wie sie sich kennen gelernt haben.«
Jill wünschte, sie hätte sich wieder setzen oder wenigstens irgendwo anlehnen können. Bevor sie antworten konnte, erschien Lauren wieder und sagte:
»Ich glaube, er hat sie zum ersten Mal in einem Fitness-Studio gesehen.«
Jill schaute zu ihr hinüber. »Nein. Ich trainiere zwar in einem kleinen Studio in SoHo, aber wir sind uns in der U-Bahn begegnet.«
»Hal hat mir etwas anderes erzählt«, beharrte Lauren.
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»Das ist die Wahrheit«, sagte Jill verwundert.
Lauren musste sich irren.
»In der U-Bahn!«, rief Thomas ungläubig. »Was, zum Teufel, hatte mein Bruder in der verdammten U-Bahn zu suchen?«
»So kommt man am besten in der Stadt herum«, rechtfertigte sich Jill.
»Mein Bruder hatte einen Chauffeur, der ihm jederzeit zur Verfügung stand«, gab Thomas zurück.
»Das stimmt, aber er wollte diesen Lebensstil nicht.
In den acht Monaten, die ich ihn kannte, hat er den Chauffeur und den Wagen kaum jemals in Anspruch genommen.«
Thomas bedachte sie mit einem Blick, der ihr zu verstehen gab, dass entweder ihr Einfluss für ein solch absurdes Verhalten seines Bruders verantwortlich war, oder dass sie log. »Es stimmt«, rief sie verzweifelt. »Hal war sehr bodenständig.«
»Erklären Sie mir nicht, wie mein Bruder war«, fuhr Thomas sie an.
Ihre Blicke trafen sich. Und Jill fragte sich auf einmal, wie Hal bloß auf die Idee gekommen war, dass sie in seine Familie passen könnte. Sie kamen aus völlig verschiedenen Welten. Seine Familie besaß angestammten Reichtum, und sie besaß nicht einmal eine Familie - ihre Tante zählte nicht, und Jill hatte seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr. Finanziell kam Jill gerade so über die Runden. Sie sah sich in 51
dem riesigen Wohnzimmer um. Es war viermal so groß wie ihr Apartment. Diese Leute waren reiche Upper-Class-Snobs. Was hatte sie hier überhaupt verloren?
»Hör mal, ich nehme auch die U-Bahn, wenn ich in New York bin«, sagte Alex ruhig.
»Ist ihr Zimmer fertig?«, fragte er Lauren, die neben ihm stand.
Lauren nickte.
Jill schaute ihn überrascht an, dankbar für seine Unterstützung, aber sie ließ sich nicht täuschen - er war auch nicht gerade ihr Fürsprecher.
»Seit wann? Seit deinen Studentenzeiten?«, fragte Thomas Alex sarkastisch.
Alex lächelte dünn. »Wenn ich es eilig habe, lasse ich den Chauffeur schon mal mitten im Stau stehen und steige in den nächsten Zug.« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn man sich damit auskennt, kommt man so in der Stadt wirklich
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