Kates Geheimnis
Küche, Kleines. Jetzt weiß ich, warum du so dünn bist.«
»Er ist mit meiner Pizza verschwunden.« Jill hatte keinen Hunger, aber sie hörte, wie mitgenommen sie klang.
Er setzte sich und rückte dicht neben sie. »Hast du die Polizei angerufen?«
»Nein.«
»Ich mach das.«
Sie hielt ihn am Handgelenk zurück. »Wozu?«
»Damit das jugendliche Monster, das das getan hat, kriegt, was es verdient«, erwiderte Alex mit wütend funkelnden Augen.
Jill sah ihn stumm an.
Er starrte zurück.
»Jemand will, dass ich hier verschwinde«, sagte Jill mit flacher Stimme. »Wegen Kate - und das weißt du genau.«
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Er betrachtete sie lange. »Das glaube ich nicht«, sagte er schließlich ruhig. Er wandte sich ab, aber Jill konnte noch die Wut in seinem Gesicht erkennen.
War er wütend, weil jemand ihr das angetan hatte?
Oder weil jemand aus seiner Familie etwas damit zu tun hatte und ihr Verdacht ins Schwarze traf? Sie konnte es nicht sagen.
Alex musste die Dreckarbeit nicht selbst erledigen.
Er war stinkreich. Jill schloss die Augen und wünschte, sie hätte das nicht gedacht - nicht schon wieder.
Wenn er irgendetwas damit zu tun hatte, war er vollkommen verrückt.
»Lass mich ein paar Anrufe erledigen«, sagte Alex.
»Ich lasse jemanden kommen, der sauber macht, und ich lasse Scotch und was zu Essen liefern. Willst du etwas Valium?«
Sie antwortete nicht und fürchtete nur, den Verstand zu verlieren. »Ein Freund von mir ist Arzt. Ich kann ihn jetzt gleich anrufen, und ...«
»Nein.«
»Okay.« Er lächelte sie an, aber sein Blick war forschend. »Hey. Du bist ganz schön zäh.« Er fuhr mit den Fingerspitzen über ihre Wange.
Seine Berührung war tröstlich. Verwirrt stand Jill auf. »Ich will hier heute Nacht nicht allein sein«, sagte sie zögernd.
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»Natürlich nicht. Ich bleibe hier. Auf dem Sofa«, fügte er hinzu und erwiderte ihren Blick.
Jill nickte. »Lady E.« Sie brach ab und rang um Fassung. »Wir waren gerade Freunde geworden.«
»Ich weiß«, sagte er zärtlich. »Ich weiß.«
Jill hatte sich umgezogen und trug jetzt einen Trainingsanzug und dicke weiße Socken. Während sie ihr Haar kämmte, das von der Dusche noch ganz feucht war, starrte sie auf ihr Spiegelbild. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, ihr Haar wirkte dunkelrot, und ihr Leberfleck stach vor ihrer bleichen Haut deutlich hervor. Jills Hand stockte. Es war, als sähe sie eine ältere Version von Kate Gallagher.
Sie legte den Kamm weg. Vor ein paar Minuten hatte sie Alex unten sprechen hören - vielleicht war ein Lieferant gekommen oder derjenige, den er gerufen hatte, um vor dem Haus alles in Ordnung zu bringen.
Jill ging auf ihren dicken Socken leise aus dem Bad. Sie sah nach Sir John, der einfach nur zurückstarrte, und ging auf den Flur hinaus. Im Erdgeschoss war es dunkel - Jill fragte sich, ob Alex vielleicht schon auf dem Sofa eingeschlafen war, bevor er ihr den versprochenen Scotch anbieten konnte. Sie wollte gerade die Treppe hinuntergehen und hatte die Hand schon auf dem glatten hölzernen Geländer, als sie plötzlich seine Stimme hörte. Er 553
sprach sehr leise, so dass sie nicht verstehen konnte, was er sagte, aber er klang ausgesprochen sauer.
Jill erstarrte und lauschte angestrengt. Jetzt herrschte wieder Stille. Mit wem sprach er da? Und warum war er wütend?
Ihr Herz begann zu rasen. Jill ging die Treppe hinunter, eine Stufe nach der anderen, völlig geräuschlos. Am unteren Treppenabsatz blieb sie stehen. Sie meinte, ihn aus der Küche zu hören - er sprach in sein Handy.
Warum hatte er nicht ihr Telefon benutzt?
»Ich warne dich«, zischte Alex plötzlich. »Das hast du gründlich versaut.« Eine Pause. Und dann sagte Alex mit harter, wütender Stimme: »Ja, richtig.«
Jills Herz hämmerte mit erschreckender Kraft gegen ihr Brustbein. Sie musste sich an der Wand festhalten und wartete darauf, dass er
weitersprach. Eine endlose Minute verging, vielleicht auch zwei. Sie kam zu dem Schluss, dass er aufgelegt haben musste.
Sicher bezog sich »Das hast du gründlich versaut«
nicht auf das, was geschehen war. Es konnte alles bedeuten. Er konnte mit einem Kollegen oder Mitarbeiter telefoniert haben, es konnte um ein Geschäft gehen. Sie sollte daraus nicht schließen, dass er sauer auf seinen Handlanger war, weil der bei Lady E.s Ermordung einen Fehler gemacht hatte.
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Es musste doch eine andere Erklärung für diesen Anruf geben.
Alex war kein Mörder.
»Jill?« Plötzlich
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