Kates Geheimnis
und ihr Herzschlag dröhnte in ihrer Brust, während der Landrover über Schlaglöcher und Wurzeln holperte.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Alex entdeckte, dass jemand sich an seinem Computer zu schaffen gemacht hatte oder dass sie verschwunden war.
Jill wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wollte die Dokumente, die sie in ihren Anorak gestopft hatte, an Lucinda faxen, aber sie hatte Angst davor, im Dorf anzuhalten, Angst, dass diese wenigen kostbaren Minuten Alex die Chance geben würden, sie einzuholen.
Der Landrover schoss über die hügelige, kurvige Straße. Es wurde neblig, und Jill versuchte vergeblich, die Scheibenwischer in Gang zu setzen.
Manchmal konnte Jill durch die Bäume an der linken Straßenseite die unruhige graue See erkennen.
Ihr wurde klar, dass es nicht mehr weit war bis Coke’s Way.
Raue, grauschwarze Grabsteine stachen durch den Nebel, direkt vor ihr, dahinter nasses Gras und dürre Bäume.
Die Kirche! Sie konnte alles vom Büro des Pfarrers aus faxen.
Jill trat das Gaspedal durch. Sie raste die Straße hinunter und verriss dann plötzlich das Lenkrad, bog viel zu schnell über die Gegenfahrbahn in den 665
Kirchhof ab. Sie stieg voll in die Bremse, Kiesel spritzten auf wie Gischt. Und selbst während sie auf die alte Kirche zurannte, fragte sie sich panisch, ob Alex hinter ihr auf der Straße war, ob sie ihren kostbaren kleinen Vorsprung verlor.
Drinnen war Licht - ein gutes Zeichen. Sie warf sich gegen die alte, zerfurchte Holztür und fand sich im Mittelschiff wieder. Die späte Tageszeit und der aufkommende Regen vertieften die Schatten darin.
»Pfarrer Hewitt?« Ihre Stimme klang zu hoch, rau und panisch, selbst in ihren eigenen Ohren.
Er trat aus den Schatten am anderen Ende des Mittelganges. Kam langsam näher. Jill konnte sein Gesicht nicht sehen, weil es so düster war, aber plötzlich war sie wie gelähmt, denn sie hatte das komische Gefühl, dass er auf sie gewartet hatte.
Unsinn, das war unmöglich, sie verlor langsam völlig den Verstand.
»Miss Gallagher?«
»Sie müssen mir helfen«, rief Jill, rang die Hände und bemerkte mit einer eigenartig neutralen Überraschung, dass sie zerkratzt waren.
»Sie müssen mich etwas faxen lassen, und Sie müssen aufpassen, dass niemand kommt!« Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Dass niemand kommt?«, fragte der Pfarrer und blieb vor ihr stehen.
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»Ich werde verfolgt«, flüsterte Jill. »Ich stecke in großen Schwierigkeiten. Können Sie mir Ihr Fax zeigen?« Sie wollte an ihm vorbeigehen, zu dem kleinen Büro am anderen Ende des Ganges.
»Miss Gallagher. Sie sind ja ganz aufgelöst.
Kommen Sie mit zu mir, ich mache Ihnen erst mal einen schönen heißen Tee, und dann können Sie mir erklären, was hier vor sich geht.«
Jill schüttelte den Kopf und rannte den Gang hinab.
»Vielleicht könnten Sie diese Sachen für mich faxen.« Sie sah Alex am Steuer seines Lamborghini, nur Sekunden entfernt.
»Ich fürchte, Sie verstehen nicht. Ich habe kein Faxgerät.«
Stolpernd blieb Jill stehen und starrte ihn an. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er gesagt hatte, und dann drang das entsetzlichste Geräusch, das sie je in ihrem Leben gehört hatte, an ihr Ohr - ein vertrautes, PS-starkes Röhren - Alex’
Lamborghini, der draußen vor der Kirche hielt.
Einen Augenblick lang war sie wie gelähmt.
Dann blickte sie auf, in die dunklen Augen des Pfarrers. »Sagen Sie ihm nicht, dass ich hier bin!«
Und dann rannte sie den Gang hinunter, in sein Büro und zur Hintertür hinaus.
Der Pfarrer rührte sich nicht. Einen Augenblick später ging die Tür auf, Alex kam herein und nahm seine Sonnenbrille mit gelben Gläsern ab. Es hatte zu 667
regnen begonnen, und auf seiner alten braunen Lederjacke glitzerten Tropfen.
»Guten Tag, Mr. Preston«, sagte der Pfarrer. Er deutete hinter sich. »Sie ist da raus.«
Alex nickte.
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Vierundzwanzig
17. Oktober 1908
Bensonhurst war der letzte Ort auf Erden, wo sie jetzt sein wollte. Kate stand auf dem Treppenabsatz über dem Ballsaal und starrte in die Menge hinunter.
Sie hatte Anne weder gesehen noch gesprochen seit jenem schrecklichen Tag vor anderthalb Wochen bei den Fairchilds. Seitdem hatte sie auch nicht essen und nicht schlafen können. Sie hatte die meiste Zeit mit Peter verbracht, hatte ihn an ihre Brust gedrückt und versucht, sich nicht ihrer Trauer und Verzweiflung zu ergeben und das schreckliche Gefühl drohenden Unheils zu vertreiben.
Kate
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