Kates Geheimnis
klammerte sich Halt suchend an das Treppengeländer. Sie hatte am Morgen nur etwas trockenen Toast geknabbert, und jetzt fühlte sie sich schwach. Sie wünschte, sie hätte herzhafter gegessen.
Aber sie fand, das hatte auch eine gute Seite - sie hatte es geschafft, sich in ihr aufregendstes Ballkleid zu zwängen, eine schulterfreie Kreation aus schwarzer Spitze, das sie vor ihrer Schwangerschaft einmal getragen hatte. Sie hatte etwas mitzuteilen. Sie wusste, dass sie schön und begehrenswert war, und 669
heute Abend würde niemand etwas anderes denken können.
Sie hatte sich vor allem für Anne so angezogen, nun, da sie Rivalinnen waren.
Der Ballsaal wimmelte von Gästen; Kate kam spät.
Sie sah Anne und ihre Eltern in der Mitte des riesigen Raumes regelrecht Hof halten, und Anne sah entzückend aus in ihrem hellrosa Taftkleid. Kate bemerkte, dass sie einige der kostbarsten Bensonhurst’schen
Juwelen trug. Diamanten baumelten von ihren Ohren, waren um ihren Hals geschlungen. Der Schmuck war überwältigend. Kate selbst trug nichts außer einem Medaillon an einem Samtband. Es war ein ganz besonderes Medaillon, das sie vor zwei Jahren von Anne zu Weihnachten bekommen hatte.
Es waren zwei Porträts darin. An jenem Weihnachtstag hatten sie einander ewige Freundschaft geschworen.
Kates Augen füllten sich mit Tränen, als sie von Traurigkeit übermannt wurde. Sie war in den vergangenen Tagen ausgesprochen rührselig geworden - jede Kleinigkeit, jede Erinnerung, jedes Erlebnis, jeder Zweifel, jede Befürchtung reichten aus, sie zum Weinen zu bringen. Wie sie von dieser schrecklichen Situation zerrissen wurde. Sie wollte sich nicht mit Anne überwerfen, sie wollte nicht mit ihr um Edwards Hand kämpfen. Sie wollte, dass alles 670
in Ordnung kam; das alles wieder so wurde, wie es vor ihrer Rückkehr nach London gewesen war.
Dann merkte Kate, dass der Earl of Collinsworth und seine Frau bei Anne und ihrer Familie standen, und sie erstarrte. Sie hatten sie alle gesehen.
Langsam stieg Kate die Treppe hinunter und unterdrückte ihr Zittern. Ihr langer Rocksaum schleifte effektvoll hinter ihr über den Boden. Sie fragte sich, ob Anne ihr Geheimnis - ihres und Edwards - der ganzen Welt verkündet hatte. Alle schienen sie anzustarren, als sei sie ein ungebetener Gast - oder eine gefallene Frau. Weder zögerte Kate, noch verzog sie eine Miene. Man hatte sie schließlich eingeladen -
vor jenem Schicksalstag bei den
Fairchilds.
Kate ging weiter auf Anne, ihre Eltern und die Sheldons zu. Sie hielt den Kopf so hoch erhoben, wie sie konnte, ihre Wangen waren flammend heiß, und sie hoffte wider besseres Wissen, dass Anne nicht herzlos ihren Ruf ruiniert hatte. Sie steckten in einer entsetzlichen Zwickmühle, aber sicherlich bedeutete eine Freundschaft wie die ihre dennoch etwas.
Und wo war Edward? Kate dachte nicht, dass er schon angekommen sei.
Sie hatte ihm gegenüber nicht mit einer Silbe erwähnt, was geschehen war. Sie hatte es nicht gewagt.
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Kate fühlte sich mehr als elend. Ihr war, als stünde sie vor einem gähnenden Abgrund, aber sie konnte nicht zurücktreten, sich nirgends in Sicherheit bringen. Sie hatte mit dieser fast wahnsinnigen Angst gelebt, mit dem Gefühl, dass ein kleiner Stoß genügte, um sie in die Tiefe, in den Tod stürzen zu lassen. In den vergangenen Tagen hatten sie schreckliche Ängste gepeinigt und etwas, das vielleicht eine grässliche Vorahnung war - dass etwas Entsetzliches geschehen würde. Dass ihr schlimmster Albtraum bald Wirklichkeit werden sollte. Dass sie Edward und Peter verlieren würde, einfach alles.
Sie hatte sich in dieser kurzen Zeit angewöhnt, misstrauisch über die Schulter zu blicken, als erwarte sie Anne in ihrem Rücken oder sonst jemanden, der sie beobachtete, ihr auflauerte. Kate fürchtete um ihren Verstand.
Vor Anne und ihrer Familie blieb sie stehen.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte sie mit ihrem lieblichsten Lächeln. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Ihre Nerven drohten sie im Stich zu lassen.
Anne lächelte nicht zurück. Sie starrte sie an, als sei sie ein Ungeheuer mit zwei Köpfen.
Oh Gott, dachte Kate, und ihr war so schlecht, dass sie sich auf der Stelle hätte übergeben können. Aber sie lächelte weiter und küsste Anne auf die Wange.
Anne sagte kein Wort. Ihr Gesicht war zu einer fast 672
ausdruckslosen Maske erstarrt. Aber in ihren Augen stand nur Verachtung.
Kate wandte sich so abrupt ab, dass sie beinahe das
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