Kates Geheimnis
erklärte Kate.
Mary stöhnte, griff in ihr Ridikül und zog ein Taschentuch hervor. »Nenne die Engländer nicht so wie eben, oder sie werden uns niemals akzeptieren, nicht, wenn man so etwas von uns hört. Und sprich niemals von dir als Neu... du weißt schon!«
Kate lachte. »Aber auch das ist wahr.« Sie wurde ernst. Sie entdeckte einen sehr gut aussehenden Gentleman, etwa zehn Jahre älter als sie, der an einem der Teleskope stand, mit denen man auf die See hinausblicken konnte. In Anzug und Melone wirkte er sehr schneidig, wie er sich so an das Geländer der Promenade lehnte; er sah nicht durch das Fernrohr, sondern schaute sie an. Kate fragte sich, ob er eben erst in Brighton angekommen war, denn sie hatte ihn in den vergangenen Tagen hier nicht gesehen. Sie merkte, dass er sie anstarrte.
Ihr Herz flatterte, und sie zog den Kopf ein, erstaunt über ihre plötzliche Schüchternheit. Aber er war ohne jeden Zweifel ein absolut umwerfender Mann.
Kate sah über die Schulter zu ihm zurück.
Er griff an seinen Hut, und seine Zähne blitzten weiß in seinem ungewöhnlich dunklen Gesicht.
Kate konnte ihre Freude nicht verbergen und lächelte sofort zurück. Sie wusste, dass er sie weiterhin beobachtete, während sie die Promenade 251
hinabgingen und am Palace Pier ankamen. Sie fragte sich, wer er sein mochte.
»Flirtest du etwa?«, rief Mary entsetzt und blickte nun auch über die Schulter zurück.
»Selbstverständlich. Das ist doch nichts Schlimmes, Mutter«, sagte Kate mit einem verzweifelten Unterton.
Mary war außer sich. Sie war eine füllige Frau mit äußerst heller Haut, blauen Augen und goldenen Löckchen. »Ich wünschte wirklich, du würdest dich benehmen«, sagte sie und tupfte sich wieder mit dem Taschentuch übers Gesicht. »Wie sollen wir einen Mann für dich finden, wenn du dich so ordinär aufführst?«
»Und ich wünschte, Vater wäre noch am Leben«, murmelte Kate, aber Mary hörte sie nicht. Peter Gallagher hatte ihre unverschämte Art immer gemocht - aber er war selbst ein Heißsporn gewesen, der sich nicht darum scherte, was die arroganten Europäer von ihm hielten. Er konnte mit Knickerbockern wenig anfangen und tat das auch bei jeder Gelegenheit kund. Aber schließlich hatte er ja sein Vermögen mit Gummi und der neuen Automobilindustrie gemacht, ein so großes Vermögen, dass er es sich leisten konnte zu ignorieren, was andere von ihm hielten. Er war ein Jahr zuvor verstorben und hatte ihr, Kate, fast sein gesamtes Vermögen in Form von Firmenanteilen und Grundbesitz hinterlassen, und auch ihre Mutter hatte 252
eine mehr als großzügige Pension erhalten. Mary hatte für ihr Leben ausgesorgt. Kate war eine reiche Erbin.
In New York hatte ihr Vater ein Dutzend Verehrer abgelehnt - Kate war erst fünfzehn gewesen. Er hatte behauptet, dass nicht ein Einziger von ihnen gut genug für sie sei - aber dann hatte er Kate nach ihrer Meinung gefragt, und Kate hatte ihm zugestimmt.
Kate wusste, dass Peter sie, wenn er noch leben würde, niemals gegen ihren Willen zu einer Heirat gezwungen hätte.
Aber es war sein Wunsch gewesen, dass sie in Großbritannien in die Gesellschaft eingeführt wurde.
»Das ist der Ire in mir«, hatte er ihr einmal gesagt.
»Als ich ein kleiner Junge war, haben sie auf mich gespuckt, mir ihren Pferdemist vor die Füße geworfen und zugeschaut, wie ich ihre Straßen für sie sauber gemacht habe. Jetzt wird mein kleines Mädchen einen von ihnen zum Mann bekommen, du wirst schon sehen.«
Es tat weh, an ihn zu denken. »Lass uns zum Meer hinuntergehen«, sagte Kate plötzlich. »Wir können unsere Schuhe ausziehen und ins Wasser gehen.«
»Wir tragen keine Badekleidung, und es ist ohnehin zu spät, um im Meer zu baden«, antwortete Mary.
»Außerdem besteht der Strand nur aus Steinen.
Schau. Alle verlassen den Strand.«
»Na großartig«, sagte Kate ärgerlich. »Ich weiß, was du gleich sagen wirst. Dass wir ins Metropole 253
zurückmüssen, um uns fürs Abendessen umzuziehen.«
»Ja, meine Liebe, so ist es.«
»Das Abendessen gestern war schrecklich. Alle diese fetten alten Damen, die uns anstarrten, als wären wir Ungeheuer vom Mond.«
»Kate, hör auf.«
Aber Kate lächelte jetzt. »Eigentlich haben sie uns angestarrt, als wären wir Ungeheuer aus der Zeit der Höhlenmenschen. Ist dir das egal, Mutter? Sie hassen uns. Wir sind nicht gut genug für sie - wir sind doch Wilde.« Kate schüttelte sich theatralisch.
»Wenn du etwas weniger freimütig
Weitere Kostenlose Bücher