Kates Geheimnis
Konventionen fesseln zu lassen? Haben Sie ein Automobil?«
Anne blinzelte. »Nein. Aber mein Nachbar hat eines. Ich kenne ihn allerdings kaum. Ich meine, ich weiß, wer er ist - er ist der Erbe der Collinsworths, und er hat das Anwesen neben unserem gemietet.
Sein Roadster ist wirklich wundervoll.«
»Sie sollten ihn bitten, einmal mit Ihnen auszufahren. Oder noch besser, bitten Sie ihn, Sie das Fahren zu lehren.« Kate grinste beim Gedanken an den Aufruhr, den das in der Familie dieser hochanständigen Engländerin verursachen würde.
Anne blieb der Mund offen stehen. »Ich könnte niemals einen Gentleman - geschweige denn eine so hervorragende Partie - bitten, mit mir auszufahren ...
Können Sie fahren?«
»Ja«, sagte Kate mit stolzgeschwellter Brust. »Mein Vater hat es mir beigebracht, als ich vierzehn war. Ich 261
bin eine sehr gute Fahrerin, und der einzige Wermutstropfen ist meine Mutter, die sich weigert, mich fahren zu lassen - sie sagt, das schickt sich nicht für eine Frau, schon gar nicht in meinem Alter, und sie läßt sich nicht davon abbringen. Aber bald werde ich mir mein eigenes Automobil kaufen.
Wahrscheinlich einen Packard.«
Anne schwieg staunend. Sie waren fast an der Plattform angekommen. »Ich habe noch nie von einer Frau gehört, die einen Roadster fährt, Miss Gallagher.«
»Sag doch Kate zu mir. Ist schon in Ordnung.«
Die beiden Mädchen verharrten ein paar Schritte vor Mary. »Ist das deine Anstandsdame?«
Kate seufzte. »Das«, sagte sie tonlos, »ist sie ganz sicher. Eigentlich«, fügte sie hinzu, »ist das meine Mutter. Ich glaube, sie bekommt gleich einen Anfall.«
»Nun ja, du hast Sand im Gesicht und in den Haaren.« Anne lächelte tatsächlich. Dann wurde sie ernst. Eine Frau eilte auf sie zu. »Das ist meine ältere Schwester, Lady Feldston. Ich denke, sie hat soeben bemerkt, dass sie mich verloren hat.«
Kate lachte. »Ich bin überzeugt, dass du den Rückweg zu eurem Haus ohne Mühe finden könntest.«
Anne errötete. »Natürlich. Kate, würden du und deine Mutter mir das Vergnügen machen, heute Abend mit uns zu essen? Wir erwarten einige Gäste.
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Ich glaube, etwa zwanzig. Das wäre ja so nett.« Kate musste nicht lange überlegen. »Ich würde zu gern kommen«, sagte sie. »Ich habe das Essen im Hotel mit Grausen erwartet - du würdest nie glauben, wie unhöflich die anderen Gäste sind.«
»Unhöflich?« Anne war entsetzt. »Aber was ist denn geschehen?« »Seit unserer Ankunft haben sie mich hinter meinem Rücken beschuldigt, hinter einem Titel her zu sein - und ziemlich laut, das muss ich sagen , ich konnte es gar nicht überhören.«
Anne war schockiert. »Das ist ja ungeheuerlich!
Einfach ungeheuerlich - und absolut nicht akzeptabel, das kann ich dir versichern.«
Kate sah sie an. »Aber das Problem ist, dass das stimmt. Meine Mutter ist fest entschlossen, eine hervorragende Partie für mich zu finden.«
Anne war so entsetzt, dass sie kein Wort herausbrachte. Nach einer langen Pause sagte sie leise: »Meine liebste Kate. So etwas darfst du nie wieder offen zugeben. Du musst sehr viel diskreter sein.«
Kate lachte sie aus. »Du klingst wie meine Mutter, Anne. Wir sehen uns heute beim Abendessen.«
Nachdem Anne gegangen war, ging Kate zu ihrer Mutter und erzählte ihr von der Einladung zum Abendessen. Marys Augen weiteten sich vor Aufregung. »Kate! Die Bensonhursts sind eine sehr alte, wohl etablierte Familie! Wenn sie uns zu ihren 263
Freunden zählen, dann wirst du doch noch zu deinem Debüt kommen!«
Kate sah ihre Mutter an und bedauerte sie, da sie so in ihrer engstirnigen Denkweise gefangen war. Sie tätschelte ihre Hand. »Warum freuen wir uns nicht nur auf meine Saison, sondern auf einen sehr netten Abend?«
Aber Mary murmelte: »Ich frage mich, ob sie einen Bruder hat, oder einen Cousin - das heißt, einen annehmbaren.«
Kate ignorierte sie - das hatte sie sich immer mehr angewöhnt. Sie kam zu dem Schluss, dass Brighton doch nicht so öde werden würde. Vielleicht, nur vielleicht, hatte sie eine Freundin gefunden, mit der sie den Sommer verbringen konnte.
Dann erinnerte sie sich an den gut aussehenden Unbekannten und verspürte einen wohligen Schauder.
Er ging ihr einfach nicht aus dem Kopf, und immer wenn sie an ihn dachte, hatte sie so ein merkwürdiges Gefühl - eine tiefe, ganz gewisse Erwartung , in das sich aber ängstliche Erregung mischte. Kate wusste kaum, was sie von ihren eigenartigen Empfindungen halten sollte. So
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