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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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Originale handelte, die die berühmten Meister in Katharsia geschaffen hatten, manche in Anlehnung an irdische Vorbilder.
    Unter den Augen Griesekes, der ihm nicht von der Pelle rückte, lief er achtlos an den ausgestellten Kostbarkeiten vorbei. Ihm stand der Sinn nur nach einem Bild.
    Und plötzlich traf ihn ihr Blick. Aus der Ferne. Am Ende einer Flucht, die durch mehrere Räume führte, hing sie. Überlebensgroß. Die Sixtinische Madonna.
    Sando lief auf sie zu, übersah die Stufen auf dem Weg. Er stolperte.
    Lachte sie ihn aus?
    Nein. Mit einem feinen Lächeln ging sie darüber hinweg. Ihre Augen folgten ihm. Aufmerksam. Bis er vor ihr stand. Die kleinen, feisten Engel zu ihren Füßen ignorierten ihn mit einem gelangweilten Augenaufschlag. Aber sie schaute ihn an. Sein Herz klopfte gegen das Medaillon auf seiner Brust. Er holte es hervor. Gab es einen Unterschied? War das katharsische Bild vollkommener, wie Doktor Fasin behauptet hatte?
    In der Tat waren die Bilder nicht gleich. Anstelle des würdigen Papstes, der Maria auf dem irdischen Bildnis huldigte, hatte Raffael einen jungen Mann gesetzt.
    Warum , fragte sich der Junge. Was ist daran vollkommener?
    Er bemerkte eine Gruppe von Besuchern, die vor dem Gemälde stand. Sando trat hinzu, um vielleicht etwas von der Erklärung des Führers zu erhaschen.
    „Schauen Sie genau hin, meine Damen und Herren“, forderte der Führer seine Zuhörer auf. „Der Ausdruck des Gesichtes, das der junge Mann Maria zuwendet, ist höchst bemerkenswert. Aus ihm spricht nicht Verklärung und Demut, wie sie Papst Sixtus in der irdischen Variante des Bildes der Mutter Gottes entgegenbringt, sondern …“ Der Galerieführer setzte eine Spannungspause und Sando spitzte die Ohren, um ja nichts zu verpassen. „Dieser Mann schaut sie an wie ein Liebender, der die heilige Jungfrau begehrt. Und sehen Sie die Haltung seines Körpers? Da ist keine Spur von Unterwürfigkeit. Seine Souveränität gleicht der ihren. Sie scheinen wie füreinander geschaffen. Sie vermitteln den Eindruck eines Liebespaares. Ihr hintergründiges Lächeln zeugt von einem stillen Einverständnis. Die dargestellte Situation gibt Anlass zu beunruhigenden Fragen: Ist das Kind auf ihren Armen die Frucht ihrer Liebe? Dann widerspräche der Maler der Legende von der unbefleckten Empfängnis. Zu Raffaels Zeiten ein Sakrileg. Und wenn ich Ihnen jetzt verrate, dass es sich bei dem dargestellten Liebenden um ein Selbstbildnis des Malers handelt, dann stellt sich die Frage: Sieht er sich als Gottvater? Oder ist Marias Sohn für ihn ein Kind wie jedes andere? Sie können sich denken, warum Raffael das Bild in dieser Form erst in Katharsia geschaffen hat. Es ist übrigens sein letztes Werk. Nach seiner Vollendung hatte seine Seele ihren Frieden gefunden.“
    Sando war beeindruckt: Künstler, die auf der Erde schon Unsterbliches geschaffen hatten, trieben in Katharsia ihr Werk voran, wagten es, Tabus zu brechen, setzten sich über Denkverbote hinweg.
    Lange konnte er den Blick nicht von dem Liebespaar abwenden, während er das Medaillon in seiner Hand hielt, das Kleinod, das er seit dem Tage seiner Ankunft in Katharsia gehütet hatte. Er bemerkte nicht die Gestalt, die sich ihm von hinten näherte. Und ehe er begriff, was geschah, hatte sie das Medaillon gepackt. Ein kurzer Ruck und er stand mit leeren Händen da.
    Sein Herz gefror zu Eis.
    „Heute Abend am Schwarzen See!“, zischte es an seinem Ohr. „Und komm allein, Hasenscharte!“
    Als er sich aus seiner Erstarrung löste und sich nach seinem alten Feind umdrehte, war der längst verschwunden.
    Grieseke, der dicht neben ihm stand, sah ihn fragend an. „Ist etwas nicht in Ordnung, Junge?“
    Sando hatte Mühe, dessen Worte zu begreifen, denn in seinem Kopf rotierte ein schmerzhaftes Räderwerk aus schweren Selbstvorwürfen und bösen Vorahnungen. Diese Mühle zerbröselte jeden Handlungsimpuls. Was blieb, war das Gefühl der Ohnmacht.
    „Ich will nach Hause“, sagte Sando matt.
    Er trottete los. Ob ihm Grieseke folgte und wo Gregor und Nabil waren, interessierte ihn nicht. Er wollte allein sein, sich in seinem Bett verkriechen und niemanden mehr sehen.
    Der Weg zurück kam ihm unendlich lang vor. Die Sonne war zu heiß und die Straße zu staubig, zu lang die Zeit des Wartens auf den Fahrstuhl und zu umständlich das Schloss beim Öffnen seines Zimmers. Endlich lag er auf dem Bett, starrte hinauf zur Decke und beobachtete das Wandern der Sonnenreflexe, die vom Gold

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