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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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Gefährten sprangen hinaus, rannten wie um ihr Leben, um die Quelle des Nebels zu finden. Zu dem Sirenengeheul gesellten sich ein Hupkonzert und unflätiges Schimpfen: „Was sind denn das für Idioten?“ – „Wie könnt ihr an dieser Stelle halten?“ – „Macht den Weg frei, ihr Hornochsen!“
    Sando hörte nicht hin. Ihn trieb nur ein Gedanke: Ich muss den Hühnergott finden!
    Er rieb sich die Augen. Die Sicht verschlechterte sich.
    „Jetzt hier in den Wald!“, hörte er Nabil rufen.
    Sie bogen vom Weg ab. Wind blies ihnen ins Gesicht. Sie folgten der Nebelfahne, die ihnen entgegentrieb. Nur wenige Meter, dann hatten sie die Quelle des Nebels erreicht. Er kam aus einem Strauch.
    Sie stürzten darauf zu und im Gewirr der Zweige fanden sie die zarte Silberkette. Aus dem Medaillon, das daran baumelte, quoll dicker, weißer Rauch. Und einmal, als der Wind besonders heftig blies, blickte aus dem undurchdringlichen Vorhang schemenhaft das Gesicht der Madonna hervor.
    Sando fiel ein Stein vom Herzen. Vorsichtig nestelte er die Kette aus dem Gestrüpp. Wie ein Weihrauchgefäß schwenkte er das Schmuckstück, hielt es hustend seinen Gefährten hin. Tränen lachend standen sie da, rieben sich die Augen.
    „Er hat nichts geahnt!“, rief Sando glücklich. „Lemming hat es einfach weggeworfen!“
    Und wie zur Feier des Augenblickes trat plötzlich Stille ein. Die Warnsirenen der Kolonnenfahrzeuge waren verstummt.
    Ben horchte auf. „Wir müssen zurück“, sagte er.
    Sie traten den Rückweg an. Erleichterung beflügelte ihre Schritte. Sando trug das rauchende Stück wie eine Trophäe vor sich her. Die Einsatzkräfte wussten nun offenbar Bescheid. Der Gang der Gefährten an den wartenden Fahrzeugen vorbei wurde begleitet von mehr oder weniger geistreichen Kommentaren: „Das soll Retamin sein? Immer her damit, ich kann es gut gebrauchen!“
    „Das bisschen Nebel reicht doch nicht für dich“, widersprach jemand.
    „Wieso nicht?“, fiel ein Dritter ein. „An dem ist doch nicht viel dran!“
    Jetzt erst bemerkte Sando, dass aus dem Medaillon tatsächlich nur noch spärliche Rauchwölkchen drangen. „Es hat nachgelassen“, sagte er beunruhigt.
    „Gut so“, brummte Nabil aufgeräumt. „Ich hatte schon Angst, wir müssten den Qualm im Gleiter ertragen.“
    „Ich wüsste gern, warum der Hühnergott im Wald genebelt hat und warum er jetzt wieder aufhört …“, sagte Sando. „Es ist doch verrückt.“
    „Vielleicht wollte er, dass er gefunden wird?“, feixte Gregor. „Er hat sich gefürchtet, so allein im Wald.“
    Sie lachten und als sie bei ihrem Mobil anlangten, war das Medaillon wieder so, wie Sando es kannte: ein unverdächtiges Schmuckstück, das man sich um den Hals hängen konnte.

DAS INSTITUT
    Grieseke empfing sie mit der Nachricht, dass sie den Fund unverzüglich im Retamininstitut abliefern sollten. Noch wäre nichts an die Öffentlichkeit gedrungen. Sie sollten sich mit kleiner Eskorte und ohne Aufsehen auf den Weg machen.
    Rasch quetschten sich die Gefährten in den Minigleiter und Nabil brummte: „Dort erfahren wir vielleicht auch, was den Nebel auslöst …“
    Vor ihnen war der Weg jetzt frei, denn die Fahrzeuge, die sie nicht blockiert hatten, waren zum Ort des Bombenanschlages weitergefahren. Schnell erreichten sie die Straße, gefolgt von zwei Mobilen, die ihnen Geleitschutz gaben. Gemeinsam jagten sie zurück zur Stadt, erreichten das Tal der Elbe, deren ausgedehnte Uferwiesen immer voller Menschen waren. Hier entlang führte der kürzeste Weg zum Institut. Sie zogen ihre Bahn dort, wo sie keine Spaziergänger gefährden konnten: über dem Wasser des Flusslaufes. In weiten Bögen wichen sie Dampfern und Lastkähnen aus und durchquerten die Gewölbe einiger Brücken aus Sandstein. Es war die atemberaubende Jagd durch eine Landschaft, die jener glich, die Sando von Kindheit auf kannte. Links erhob sich nun ein bewaldeter Hang, der von drei märchenhaften Schlössern gekrönt wurde. Sie wuchsen aus dem Grün der Bäume hervor und wirkten wie hineingeboren in die üppig sprießende Natur. Auf das dritte steuerten die Gleiter zu. Mit seinen hoch aufragenden, zinnenbewehrten Türmen mutete es an wie ein verwunschenes Hexenschloss.
    „Dort ist der Hühnergott bestimmt in Sicherheit“, sagte Gregor, der das Elbtal zum ersten Mal sah und dessen Reiz sichtlich erlegen war.
    Die Gleiter verließen den Flusslauf und schwenkten ein in eine Serpentine, die hangaufwärts führte. Nach etlichen

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