Katharsia (German Edition)
„welch ein dramatischer Ausgang der Sendung. Wohin gehst du Katharsia – dieser Frage wollten wir nachgehen. Doch die Wirklichkeit hat uns eingeholt. Angesichts der Bilder, die Sie hinter mir sehen, scheint diese Frage bereits beantwortet zu sein. Was auch immer diese Frau zu dieser Tat getrieben hat, sei es religiöser Wahn, seien es Hintermänner geheimer Organisationen, sie hat zum Mittel der Gewalt gegen Unschuldige gegriffen. Welchen Beweises bedarf es noch, dass wir uns auf einem verhängnisvollen Weg befinden …“
Die letzten Worte des Moderators waren nur zu ahnen. Zorneslaute der Attentäterin hatten sie übertönt. Irritiert drehte sich Vitelli um, zeigte den Beobachtern an den Monitoren für einen Moment seinen Rücken, ehe er ganz verschwand. Auf dem Podest näherte sich ein Arzt der Frau mit dem Sprengstoffgürtel. Seine Hände steckten in Gummihandschuhen und hielten einen Wattebausch. Sando hielt den Atem an und wünschte inständig, Nabil möge heil aus der Sache herauskommen.
„Er schafft es!“, sagte jemand neben ihm. Es war die Stimme Vitellis.
Auch er hat sich in Sicherheit gebracht , dachte Sando, ohne die Augen vom Bildschirm zu wenden. Beherzt trat nun der Mediziner an die Frau heran und presste ihr das flauschige Bällchen unter die Nase. Ihre Augen, die eben noch vor Hass gesprüht hatten, erloschen langsam. Ihr Körper erschlaffte. Nabil ließ sich behutsam in die Hocke nieder, immer darauf bedacht, die Hand der Frau an Ort und Stelle zu halten. Erst als sie gemeinsam am Boden saßen, ihr Rücken leblos gegen seine Brust gelehnt, traten Sicherheitsleute heran. Mit größter Vorsicht lösten sie die erschlafften Finger der Attentäterin von einem kurzen Seilzug, der offenbar als Auslöser für die Explosion dienen sollte.
Die Menschen an den Monitoren atmeten hörbar auf.
DIE EINLADUNG
Vitellis Sendung löste einen Schock in Katharsia aus. Das Attentat vor laufender Kamera und die Befürchtung, dass sich Professor Strondheims Key möglicherweise in den Händen eines dubiosen Geheimbundes befand, machte den Menschen Angst. Dass dies allem Anschein nach mit Wissen und Beteiligung des KORE geschehen war, verlieh der Sache zusätzliche Brisanz. Als nach etlichen Tagen intensivster Fahndung weder Professor Gellert noch der Key ausfindig gemacht werden konnten, stellten alle Medien einhellig die Frage: „Ist Katharsia noch zu retten?“
Präsident Samuel Wanderer reagierte prompt. Er ordnete die sofortige Einstellung aller Aktivitäten des KORE an und versprach, den Vorwürfen, die in Vitellis Sendung geäußert worden waren, nachzugehen. Sollten sie sich als stichhaltig erweisen, würde er die Truppe auflösen. Doch die Situation entspannte sich dadurch keineswegs für ihn, denn das Verschwinden des Keys heizte die Diskussion um den Retaminmangel gefährlich an. Für den Präsidenten eine heikle Situation, hatte er doch sein Überleben im Amt daran geknüpft, die „Türen Katharsias immer einen Spalt breit offen zu halten für Neuankömmlinge von der Erde“. So hatte er selbst es formuliert und in diesem Punkt war er konsequent geblieben. Auf seine Anordnung hin opferte Katharsia einen großen Teil seiner Retaminreserven für die Seelen von Einwanderern. Der Unmut in der Bevölkerung war groß, doch solange Hoffnung auf synthetisches Retamin bestand, hielt er sich in Grenzen. Nun aber war diese Hoffnung zunichte gemacht worden. Es gor in der Bevölkerung.
Zeitungen griffen die Stimmung auf und berichteten von Seelen alteingesessener Katharsianer, die auf ein neues Dasein hofften und gezwungen waren, in überfüllten Warteheimen ohne Aussicht auf Erlösung dahinzuvegetieren.
„Zustände wie im Hades“ titelten sie und schürten die Furcht auch bei denen, die noch leibhaftig Katharsia bevölkerten.
Und Furcht erzeugt Hass. So häuften sich Meldungen von Übergriffen auf Neuankömmlinge. Reporter berichteten live von spontanen Demonstrationen, bei denen zum Sturz des „Retaminverschwenders von New York“ aufgerufen wurde. „Ballonkopf – Betonkopf“ zitierten die Journale den Ruf der wütenden Mengen, deren Proteste zunehmend gewalttätiger wurden. „Katharsia in Aufruhr“ , „Einwanderer ihres Lebens nicht mehr sicher“ , „Polizei und Gefahrenabwehr überfordert“ , „Tote und Verletzte bei Krawallen“ – dies waren die gängigen Schlagzeilen der letzten Tage.
Zweites Thema, das sich ebenso hartnäckig auf den Titelseiten hielt, war das Schicksal von Sando, Ben,
Weitere Kostenlose Bücher