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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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betraten das Gebäude. Drinnen erstreckte sich ein großer Rittersaal fast über das ganze Erdgeschoss. Hier herrschte angenehme Kühle. Die Sonne drang nur spärlich durch die kleinen Fenster, die wie Tunnel durch die meterdicken Mauern getrieben worden waren. Eine riesige Tafel aus Eichenholz nahm die Mitte des Raumes ein. Rustikale Stühle mit grobem Lederbesatz und hohen Lehnen standen an deren Längsseiten akkurat aufgereiht und lenkten den Blick der Eintretenden in die Tiefe des Raumes hin zu einem riesigen Kamin in Form eines Drachenkopfes, der unablässig seinen Rachen aufriss.
    Fehlt nur noch, dass er Feuer speit , dachte Sando, als sie an der langen Tafel Platz nahmen.
    „Wenn es Ihnen hier drin zu kühl ist, lasse ich Feuer machen“, bot Vitelli an. „Aber offen gestanden bin ich froh, der Hitze entkommen zu sein …“
    Die Gefährten nickten zustimmend. Nur Sando hätte den Drachen liebend gern einmal zum Leben erweckt.
    „Lassen Sie mich ohne Umschweife zur Sache kommen“, sagte Vitelli. „Ich fungiere heute nicht als Ihr Gastgeber, sondern sehen Sie in mir den reitenden, besser gesagt, den fliegenden Boten, der im Auftrag eines anderen Herrn unterwegs ist.“
    „Sie? Im Auftrag eines anderen Herrn? Wer könnte Ihnen Befehle erteilen?“, fragte Ben mit gespieltem Erstaunen – und an Nabil gewandt setzte er lächelnd hinzu: „Da kannst du lernen, was Diplomatie heißt. Herr Vitelli fühlt sich jetzt mit Sicherheit geschmeichelt.“
    Vitelli lachte und drohte Ben mit dem Finger. „Du bist mir ja ein ganz Ausgekochter!“
    „Du?“, versetzte Ben schlagfertig, „Ein Sie wäre diplomatischer, immerhin bin ich viel älter als Sie.“
    „Oh, ich bitte um Vergebung!“ Vitelli tat erschrocken, „Sie haben sich aber wirklich gut gehalten, mein Herr.“
    Das anhebende Lachen nutzte Vitelli, um mit vielsagender Miene einen Briefumschlag auf den Tisch zu werfen. Die Neugier ließ die Gefährten verstummen.
    „Also“, begann Vitelli, „da nun die Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht sind, will ich meinen Auftrag ausführen. Diesen Brief habe ich zu übergeben.“
    „Von wem stammt er?“
    „Öffnen Sie ihn!“
    Keiner der Gefährten wollte zuerst zugreifen.
    „Nimm du ihn, Ben“, sagte Sando.
    „Ja, nimm ihn“, stimmte auch Gregor zu.
    „Wieso Ben?“, brummte Nabil. „Immerhin bin ich der Erwachsene unter euch Knaben.“
    Er legte seine Pranke auf den Brief. Niemand widersprach. Vitelli lächelte still in sich hinein.
    „Na gut. Ich will mal nicht so sein. Nun mach schon, Junge!“
    Mit diesen Worten schob der Hüne Ben den Umschlag zu. Der zögerte nicht länger und griff danach. Als er das Schreiben in der Hand hielt, fiel sein erster Blick auf die Unterschrift.
    Er stutzte.
    „Nun sag schon, von wem kommt er?“
    Die anderen platzten fast vor Neugier.
    „Ich lese vor“, war die ausweichende Antwort. Und er begann: „Sehr geehrter Herr Hakim, sehr geehrter Herr Wendelin, sehr geehrter Herr Gordon …“
    „Gordon?“, fragte Sando.
    „Das bin ich“, raunte Gregor erstaunt. „Woher kennt der Schreiber meinen Nachnamen?“
    Ben ließ sich davon nicht stören und las ungerührt weiter: „… sehr geehrter Herr Rachid …“
    Nun deutete Nabil auf sich.
    „Lassen Sie mich meiner Hochachtung, die ich für Sie empfinde, Ausdruck verleihen. Ich bewundere Ihren Mut, mit dem Sie sich für ein besseres Katharsia einsetzen. Nur wenige Menschen würden einen so entbehrungsreichen Weg auf sich nehmen, wie Sie ihn beschritten haben. Noch sind Sie nicht am Ende des Weges angelangt und ich hoffe, Sie sind bereit, ihn weiter zu gehen, was immer er auch bringen mag.“
    An dieser Stelle seufzte Sando. Sollte es tatsächlich so weitergehen? Immer auf der Flucht und immer in Gefahr? Er wusste nicht recht, ob er das wollte.
    Er spürte Bens fragenden Blick und hob entschuldigend die Hand. „Bitte lies weiter, Ben!“
    Ben drehte das Schreiben wieder so, dass genügend Licht von einem der Fensterschächte auf das Blatt fiel, und setzte fort: „Alles, was ich über Sie in Erfahrung bringen konnte, deutet darauf hin, dass Ihr Weg der meine ist. Das hat mich dazu ermutigt, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Viele meiner einstigen Weggefährten haben die Mühen nicht ertragen, sind zurückgeblieben oder haben sich gegen mich gestellt. Menschen, die mit mir die Ziele teilen und den Mut haben, zu ihnen zu stehen, sind selten geworden.“
    Ben blickte auf, schaute in die Runde, als wolle er sich der

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