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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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ehe der die Nerven verlor und die Frau losließ. Doch wie konnte er sich den Sicherheitsleuten in dieser aufgeheizten Atmosphäre verständlich machen? Er sah auf dem Monitor Nabils muskulöse Pranken, die die unsichtbare Hand der Frau unter dem schwarzen Tuch festklammerten, die Hand, die die Explosion auslösen würde.
    Das ist es , dachte Sando. Die eigentliche Gefahr ist unsichtbar!
    Er sprang auf, schlängelte sich geduckt durch den Ring der Bewaffneten, die Nabil umstellt hatten.
    „Zurück, Junge!“, brüllte jemand, doch Sando konzentrierte sich auf das schwarze Tuch. Er bekam es zu fassen, zerrte daran.
    Nichts geschah. Nabils eisenharter Klammergriff verhinderte, dass er es wegziehen konnte.
    Jemand packte ihn von hinten, doch er ließ nicht los, klammerte sich verzweifelt an dem Tuch fest. Das Gezerre war ein gefundenes Fressen für die Kameras. Auf den Monitoren erschienen überlebensgroß Sandos Finger, die sich in den schwarzen Stoff verkrallt hatten.
    Plötzlich gab es einen Riss und zwischen herabhängenden Fetzen wurde ein Sprengstoffgürtel sichtbar.
    Zunächst geschah nichts.
    Ähnlich einem Medikament brauchte das Bild etliche Zeit, um seine Wirkung zu entfalten. Der Erste, der das Weite suchte, war der Kameramann, der die Gefahr in seinem Sucher sofort erkannt hatte. Sein verwaistes Gerät lief jedoch weiter, sodass die Bildschirme unablässig die Sprengsätze zeigten. Einige Zuschauer stutzten, machten andere darauf aufmerksam. Allmählich änderte sich der Charakter des wütenden Lärms. Erste Angstschreie ertönten. Hier und da drängten Zuschauer aus ihren Reihen, schoben die, die nicht schnell genug Platz machten, beiseite. Die Hektik verbreitete sich wie eine Seuche. Bald hielt es keinen mehr auf seinem Sitz. Menschen stolperten, stürzten. Gellendes Kreischen zerrte an den Nerven der Fliehenden, raubte ihnen den letzten Rest Besonnenheit. Und endlich hatten auch die Sicherheitskräfte begriffen, welche Gefahr von der Frau ausging. Sie unterließen es, Nabil zu bedrängen, hielten respektvoll Abstand.
    „Können Sie die Frau noch halten?“, überbrüllte ein Bewaffneter den Lärm. „Um Gottes willen, lassen Sie sie nicht los!“
    „Ich kann nicht ewig hier stehen! Unternehmen Sie etwas!“, schrie Nabil zornig zurück.
    Ein Offizier trat in den Kreis. „Bitte bleiben Sie ruhig, gleich kommt Hilfe!“
    Dann wendete er sich um und forderte Vitelli und dessen Gäste auf, umgehend das Podest zu verlassen.
    „Es ist zu Ihrer Sicherheit!“, rief er.
    Langsam ebbte der Lärm ab. Der Saal war inzwischen fast leer. Nur noch wenige Zuschauer drängten sich an den Ausgängen.
    „Ich kann hier nicht weg“, erklärte Vitelli. „Wir sind noch auf Sendung.“
    Der Offizier blickte sich erstaunt um. „Sie senden ohne Kameraleute?“
    Vitelli lächelte. „Die Kameras laufen noch. Livebilder von einem Attentat, ich bitte Sie, welcher Sender würde sich das entgehen lassen?!“
    „Aber es besteht Lebensgefahr! Der Sprengstoffgürtel der Frau kann jeden Moment hochgehen!“
    „Nur noch eine Moderation“, bat Vitelli, „dann bin ich weg. Versprochen!“
    „Wenn Sie unbedingt Ihr Leben aufs Spiel setzen wollen …“ Der Offizier zuckte mit den Schultern und drängte die anderen, ihm zu folgen. „Sie verpassen nichts“, sagte er mit einem ungnädigen Seitenblick auf Vitelli. „Das Fernsehen ist ja live dabei.“
    „Wir können doch Nabil jetzt nicht seinem Schicksal überlassen“, widersprach nun Sando.
    „Keine Widerrede!“, knirschte der Offizier ungehalten.
    Er schob Sando vor sich her, blieb ihm auf den Fersen, bis sie den Garderobentrakt hinter dem Saal erreicht hatten. Dort hingen Trauben von Mitarbeitern an den Monitoren und verfolgten, was im Saal geschah. Nabil war zu sehen. Er stand wie festgenagelt mit der Frau auf dem Podest. Ihr Gesicht war rot angelaufen, sei es aus Hass, sei es infolge des enormen Drucks, den die Arme des Hünen auf sie ausübten. Der Ring der Sicherheitskräfte hatte sich hinter durchsichtigen Schilden verschanzt, deren eigentlicher Zweck die Abwehr von Wurfgeschossen war.
    „Ob die Dinger im Falle eines Falles halten?“, fragte jemand zweifelnd.
    „Sei still!“, raunte ein anderer, denn Vitelli schob sich nun ins Bild. Die Position, die er vor der verlassenen Kamera einnahm, war nicht optimal. Sein Kopf erschien oben etwas abgeschnitten. Aber in dieser Situation spielten Feinheiten keine Rolle.
    „Meine Damen und Herren“, begann der Moderator,

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