Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
Vom Netzwerk:
beruhigen.
    Durch die Gischt sah er die Augen des wasserspeienden Drachen schimmern, zwei glänzende Punkte, die in seine Richtung starrten, und auf einmal kam es ihm so vor, als fixierten sie ihn. Unwillkürlich durchzuckte ihn der Schreck, beinahe so, wie er ihn bei Josis erstem Anblick erlebt hatte. Und da geschah etwas sehr Eigenartiges: Die Gischt um Sando begann, sich zusammenzuballen. Myriaden feinster Wassertröpfchen ordneten sich immer deutlicher zu einer Gestalt und verblüfft erkannte Sando Josi. Sie ragte vor ihm auf als dreidimensionales Tropfenbild, durchzogen von einem schillernden Regenbogen. Die Echse sah ihn starr an wie ein Standbild, eine unbewegliche Statue. Doch plötzlich ließ sie ihre Augen kreisen.
    Als hätte sie die Aasgeier entdeckt , dachte Sando und erinnerte sich mit Schaudern an die gigantische Zunge, die aus Josis Rachen hervorgeschnellt war, um die Vögel vom Himmel zu holen. Im selben Moment, da er dies dachte, sah er, wie Josis Wasserbild gleichfalls einen Vogel fing.
    Sando stutzte. War das ein Zufall?
    Franz Stadlmeyr fiel ihm ein, der so unvermittelt aufgetaucht war und ihn von seiner Angst vor dem Untier befreit hatte. Josis Wasserbild zerstob und die Gischt formte Stadlmeyr als schillernde Regenbogenfigur.
    Was ist hier los? Sando griff nach der Wasserflasche, die ihm Stadlmeyrs Bild vor die Nase hielt, doch seine Hand ging ins Leere.
    „Es ist das Spiegelbild Ihrer Gedanken, junger Herr.“
    Am Beckenrand entlang lief eine junge Frau, die Sando trotz ihres schwarzen Haars und des dunklen Teints an Maria erinnerte. Vielleicht war es der offene Blick, mit dem sie ihn neugierig betrachtete, der natürliche Stolz, mit dem sie sich bewegte … Um ihre Beine flatterten weit geschnittene Hosen, die erst zur Ruhe kamen, als die Trägerin stehen blieb, um ein großes Badetuch zu entfalten, das sie in den Händen trug. Sie bedeutete Sando, aus dem Wasser zu steigen.
    Der Junge erschrak und verzog sich in die Gischt, wo das Abbild von Franz Stadlmeyr eben verblasste. Er schämte sich vor ihr, so nackt wie er war.
    Er hörte die junge Frau lachen. Und Sando entdeckte den Grund: Die Gischt hatte sich wiederum verformt. Er selbst stand da als Tropfenbild – splitternackt. Und die schwarzhaarige Schöne wich nicht von der Stelle. Einladend hielt sie ihm das Tuch hin. Erwartete sie etwa, dass er so, wie er war, aus dem Wasser stieg und zu ihr ging?
    Sando geriet fast in Panik. Wie Adam im Paradies , dachte er. Ja, so musste sich Adam gefühlt haben, als er sich seiner Nacktheit bewusst wurde. Aber die Eva dort am Beckenrand gab sich völlig unbefangen. Sando lugte durch die Gischt, die eben wieder zu einem neuen Bild gerann – und mit Schrecken sah er sich nun nackt im Paradies, als Adam unter dem Apfelbaum. Und neben ihm lag, oberpeinlich, Eva mit dem Gesicht der schwarzhaarigen Schönen – natürlich unbekleidet. Sando hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Was sollte er tun? Wie diesem Hirnkino ein Ende setzen? Er gab sich einen Ruck, verließ die verräterische Gischt und versuchte, bis zum Beckenrand zu tauchen. Doch schnell wurde die Luft knapp. Prustend tauchte er auf. Die Schwarze lächelte unverdrossen. Sando gab es auf, schwamm zum Beckenrand, schwang sich betont sportlich aus dem Wasser und kam wie zufällig mit dem Rücken zu ihr zum Stehen. Dann wendete er ihr linkisch den Kopf zu, setzte ein, wie er glaubte, unbefangenes Lächeln auf und spreizte die Arme.
    Eva verstand, trat von hinten an ihn heran und hüllte ihn in das weiche, angenehm duftende Tuch.
    Sando hatte seine Sicherheit wieder. Er sah ihr in die Augen und sagte: „Danke, Eva.“
    Die junge Frau reagierte sachlich. Ihr Katharsisch verriet einen leicht arabischen Akzent. „Mein Name ist Fatima, junger Herr. Doktor Fasin erwartet Sie bald im Salon. Er bittet Sie, diese Sachen anzuziehen.“ Sie deutete auf einen Schemel, der reich mit Schnitzereien verziert war und auf dem ein Stapel Kleidungsstücke lag.
    „Und was ist mit meinen Sachen?“
    „Die bekommen Sie morgen sauber zurück. Hier ist Ihre Halskette, ich hätte sie beinahe mit der Hose gewaschen.“
    Sando bekam einen Schreck. Er war nicht auf den Gedanken gekommen, dass jemand an seine Sachen gehen könnte, und hatte die Kette, sein einziges Andenken an Maria, vor dem Baden in die Hosentasche gesteckt. Erleichtert nahm er den Schmuck entgegen. In Zukunft wollte er besser darauf aufpassen.
    „Danke, Fatima, das ist sehr nett von Ihnen.“
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher