Katharsia (German Edition)
lächelte ihn an, nickte leicht mit dem Kopf und er hatte das Gefühl, ihr noch eine Erklärung zu schulden.
„Übrigens, Fatima, dieser Gedankenspiegel … Also was Sie da gesehen haben, wir beide im Paradies und so … denken Sie nicht … also … ich wollte wirklich nicht …“
„Schon gut, junger Herr, es ist nur ein Spiel. Wenn Doktor Fasin Gäste hat, vergnügen sie sich manchmal damit. Jeder versucht, den anderen mit den wildesten Fantasien zu übertreffen. Es erfordert aber einige Konzentration, wenn der Gedankenspiegel zeigen soll, was man wünscht, denn er reagiert nur auf intensive Vorstellungen.“
„Meine waren anscheinend intensiv genug …“, murmelte Sando beklommen.
„Ungewollte Aufregung ist immer von ausreichender Stärke. Wer seine Gefühle nicht beherrscht, sollte nur allein oder höchstens mit guten Freunden in diesen Spiegel gehen.“
„Sie lachen mich jetzt bestimmt aus. Sie ahnen gar nicht, wie peinlich es mir ist.“
„Nicht doch, junger Herr! Adam und Eva, was ist daran peinlich?“
„Sie sind sehr freundlich zu mir“, sagte Sando leise.
„Darf ich Sie auch etwas fragen?“
„Natürlich, Fatima.“
„Ihr Wasserbild, warum hatte es da im Gesicht so eine Narbe?“
Sando schaute Fatima entgeistert an. „Ich verstehe nicht … Ich habe doch eine Narbe … Hier!“
Sando drückte mit dem Zeigefinger auf seine Oberlippe.
„Ich kann sie nicht sehen, junger Herr. Sie haben, wenn ich das sagen darf, ein sehr schönes Gesicht.“
Sando war wie vor den Kopf geschlagen. So etwas hatte er von einem weiblichen Wesen noch nie gehört. Wollte Fatima ihm nur schmeicheln? Aber vielleicht war ja wirklich keine Narbe mehr da … Seit er in Katharsia war, hatte er noch nicht in den Spiegel geschaut. Das vermied er sowieso, wenn es irgend möglich war. Jetzt aber hätte er gern einen Blick riskiert, doch er traute sich nicht, Fatima um einen Spiegel zu bitten. Innerlich aufgewühlt stand er da und wickelte sich fester in sein Badetuch. Es dauerte ein Weilchen, bis er sich wieder gefangen hatte. „Fatima“, sagte er dann, „ich würde mich jetzt gern anziehen.“
Sie sprang auf. „Natürlich, junger Herr! In fünf Minuten hole ich Sie.“
Mit wehenden Hosenbeinen flatterte sie davon.
Sando ließ schnell das Badetuch fallen und griff nach den Sachen. Er wollte sich beeilen. Wer weiß , dachte er, was Fatima unter fünf Minuten versteht.
Zuerst fahndete er nach einem Slip. Ein Wäschestück nach dem anderen warf er zur Seite. Dann endlich, ganz unten, fand er das Gesuchte. Hastig streifte er sich den Slip über. Erleichtert stellte er fest, dass er passte. Jetzt war er aus dem Schneider. Bei den übrigen Sachen ließ er sich Zeit. Zuerst legte er sich wieder die Kette mit dem Medaillon um, nicht ohne zu prüfen, ob der Hühnergott noch im Geheimfach steckte. Danach zog er sich ein enges T-Shirt über den Kopf und stieg in eine bequeme weiße Hose, die bis zu den Knöcheln hinabreichte und durch einen bunten Gürtel gehalten wurde. Es lag auch ein Kaftan für ihn bereit. Er wirkte so edel wie der von Doktor Fasin, war allerdings nicht von roter Farbe, wie sie der Hausherr getragen hatte, sondern von leuchtendem Grün.
Sando überlegte, ob er dieses ungewohnte Stück anziehen sollte. Irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass es eine gute Geste dem Gastgeber gegenüber wäre, das Angebotene anzunehmen. Er streifte sich also den Kaftan über. Nun waren noch zwei Dinge übrig: ein endlos langes grünes Stoffband und bestickte rote Ledergaloschen.
Sando schlüpfte zuerst in die Schuhe, das Leder war weich und sie saßen wie angegossen.
Und das grüne Band? Was machte er damit? Ratlos ließ er es durch die Finger gleiten.
„Braucht der junge Herr Hilfe?“ Fatima erschien, nahm lächelnd das Band und begann, Sando einen Turban zu wickeln. Mit flinken, geübten Händen hatte sie das schnell zuwege gebracht. Dann trat sie einen Schritt zurück, um ihr Werk zu betrachten. „Sehr gut“, sagte sie. „Der Doktor wird zufrieden sein. Warten Sie, ich habe noch etwas für Sie.“
Sie ging zu einer Nische, kam mit einem Spiegel in der Hand wieder und übergab ihn mit einem beredten Blick.
„Bitte, junger Herr, schauen Sie!“
Sando nahm den Spiegel und schaute hinein. Es war zweifellos er, der ihm entgegenblickte – und auch wieder nicht, denn die Narbe fehlte. Sein Mund war so ebenmäßig geformt, wie er es sich in seinen geheimsten Träumen
Weitere Kostenlose Bücher