Katharsia (German Edition)
Verwunderung erkannte Sando ein Hakenkreuz darauf.
Wie passt das zusammen , fragte er sich. Doch er wagte nicht, die beiden darauf anzusprechen.
„Gehen wir!“, sagte Heide Brandau schließlich.
Sie pilgerten weiter, durchschritten Torbogen um Torbogen. „Im Namen des Vaterlandes“ lasen sie und „Im Namen der Ehre“ . Erstaunt entzifferte Sando auch die Namen demokratisch gewählter Präsidenten, die ihre Truppen „Im Namen der Freiheit“ in alle Welt entsandten und die Opfer als Kollateralschäden verbuchten. Die Vorwände für das Töten waren zahlreich – und zahlreicher noch die Täter: türkische Paschas, serbische Generäle, Hutu-Milizen und Rote Khmer. „Genozid“ las Sando immer wieder und jedes Mal fröstelte ihn vor der Nüchternheit dieses Wortes, das für die Ausrottung eines ganzen Volkes stand.
Der Marsch durch den Schattenhain ging dem Ende entgegen. Mit schmerzenden Füßen und bohrenden Fragen verließ Sando das klingende Labyrinth. Vor sich sah er den Hügel, von dem aus sie gestartet waren. Schweißgebadet und mit ausgetrockneter Kehle stapfte er mit seinen Gefährten hinauf in den Schutz des Sonnensegels.
„Ich bin Ihnen eine Erklärung dafür schuldig, warum ich Sie so unbarmherzig durch den Hain getrieben habe“, sagte Samuel Wanderer, als sie den ersten Durst gelöscht hatten. „Ich denke, Ihnen allen ist eines klar geworden: Welchen Vorwand die Mächtigen auch immer finden mögen für das Leid, das sie den Menschen zufügen – es gibt keine Rechtfertigung. Sehen Sie, das ist es, was mich in meiner Position so nachdenklich macht. Auch ich bringe Leid über viele Bürger Katharsias, indem ich darauf bestehe, die Tür zu dieser Welt nicht zuzuschlagen – und koste es die letzten Retaminreserven. Ich handle gewissermaßen ,Im Namen der Zuwanderer‘. Habe ich das Recht dazu? Angesichts des Schattenhains stelle ich mir immer wieder diese Frage.“
Er nahm einen Schluck Mineralwasser und fuhr fort: „Bisher habe ich mein Gewissen immer mit der Hoffnung auf künstliches Retamin besänftigen können. Sehr bald, so sagte ich mir, werden die bedürftigen Seelen, die in überfüllten Warteheimen ausharren müssen, zu ihrem Recht kommen. Aber jetzt? Die Situation droht aus dem Ruder zu laufen. Die Gewaltspirale dreht sich schon. Was kann ich tun, um nicht als Mächtiger zu enden, dessen Schatten auf Tausende von Opfern fällt?“
Er schaute in die Runde.
Niemand wagte eine Antwort. Die Offenheit, mit der Wanderer über seine Gewissenskonflikte gesprochen hatte, nötigte den Anwesenden Achtung ab.
„Nun, meine Herren“, sagte Wanderer schließlich, „ich sehe nur eine Möglichkeit, das drohende Unheil abzuwenden: Ich muss dafür sorgen, dass es wieder Retamin gibt in Katharsia.“
„Dazu muss der Key wieder her“, brummte Nabil.
„Und Professor Strondheim“, ergänzte Sando.
Wanderer seufzte. „Das Verfahren gegen Strondheim … Ich hoffe, dass das Urteil milde ausfällt.“
„Sie sind der Präsident“, gab Sando zu bedenken.
„Die Justiz ist unabhängig, mein Junge. Sollte ich versuchen, Einfluss zu nehmen, heften sich Herren wie Vitelli oder Massef sofort an meine Fersen und erheben ein großes Geschrei in der Presse, nicht wahr?“
Der Präsident schaute die beiden Journalisten an.
„Das ist richtig“, gab Vitelli unumwunden zu. „Machtmissbrauch machen wir öffentlich. Es ist unsere Aufgabe.“
Wanderer runzelte die Stirn. „Siehst du, Sando, es ist nicht so einfach, wie du denkst.“
„Die Presse kann aber auch deutlich machen, dass richterliche Milde im Interesse der Allgemeinheit wäre …“, bot Vitelli an.
Wanderer winkte ab.
„Vergrätzen Sie mir den Richter nicht, sonst könnten Sie das Gegenteil erreichen. Aber lassen wir das! Ich denke, das ist das kleinere Problem. Wir werden es irgendwie lösen. Von Professor Strondheim wissen wir wenigstens, wo er steckt, was man von dem Key nicht behaupten kann. Nur eines ist wohl klar: Er ist in den Händen der Seelenretter. Und damit komme ich zu meinem eigentlichen Anliegen, meine Herren: Helfen Sie mir, den Key zu finden! Ich würde mich freuen, wenn ich auf Sie zählen dürfte, denn Ihr Mut und Ihre Fähigkeiten lassen mich auf einen Erfolg hoffen.“
„Und was genau sollen wir tun?“, fragte Ben sachlich.
„Ich denke, an den Key kommen wir nur, wenn wir den Kopf der Seelenretter dingfest machen.“
„Aber wir haben ihn doch schon“, warf Sando ein. „Battoni meine ich …“
„Mein
Weitere Kostenlose Bücher