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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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begrüßt hatte, nahm er sich Vitelli vor. „Und wir kennen uns ja schon, Herr Vitelli. Ihnen gebührt der Dank, dass Sie die Herren so schnell zu diesem Treffen überreden konnten.“
    „Es war nicht schwer, Herr Wanderer“, sagte Vitelli bescheiden.
    „Freut mich, zu hören.“ Der Präsident lächelte. „Kommen Sie, meine Damen und Herren!“ Mit einem charmanten Seitenblick bezog er nun seine Referentin wieder in das Geschehen ein. „Begeben wir uns in den Schutz des Sonnensegels.“
    Dort wartete eine Überraschung: Massef kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu!
    Das Hallo der Begrüßung nahm einige Zeit in Anspruch. Mr. Wanderer ließ seine Gäste gewähren. Gemeinsam mit Heide Brandau stand er etwas abseits und wartete geduldig, bis sich die Wogen der Wiedersehensfreude ein wenig geglättet hatten. Dann bat er alle, mit ihm gemeinsam an einem runden Tisch Platz zu nehmen. Erfrischungsgetränke wurden gereicht.
    Danach ergriff Samuel Wanderer ohne Umschweife das Wort.
    „Nun, meine lieben Gäste …“, begann er. „Worte der Begrüßung wurden genug gewechselt, lassen Sie mich daher zum Wesentlichen kommen. Wie Sie wissen, befindet sich Katharsia gegenwärtig in einer … ich will es vorsichtig ausdrücken … schwierigen Phase. Die Retaminvorräte sind nahezu am Ende und – ich glaube, ich irre mich da nicht – auch das Vertrauen der Bevölkerung in meine Regierung. Ich gelte als der mächtigste Mann Katharsias und Menschen in solch herausgehobenen Positionen erleiden oft einen gewissen Realitätsverlust, nicht wahr?“
    Er warf seinen Zuhörern einen herausfordernden Blick zu, der nicht frei war von Selbstironie.
    „Aber seien Sie versichert, auch mir ist es nicht entgangen, dass meine Macht und Herrlichkeit bröckeln, und genau genommen …“ Er holte tief Luft. „Genau genommen, sind Sie, meine lieben Gäste, nicht ganz unbeteiligt an der Demontage meiner Machtvollkommenheit. Auf Ihre Intervention hin blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Berater Battoni zu entlassen. Jetzt zwingen Sie mich – und ich werde morgen diese Entscheidung bekannt geben –, das KORE aufzulösen.“
    Er machte die Pause eines geübten Redners, der seine Worte wirken ließ und die Reaktionen abwartete.
    Und er hatte richtig kalkuliert. Sando entfuhr ein Laut freudiger Überraschung. Nabil klatschte in die Hände, woraufhin Gregor, Ben und Massef ebenfalls applaudierten. Vitelli ließ sogar ein lautes „Bravo!“ hören.
    Als wieder Ruhe herrschte, setzte Wanderer fort: „Mit anderen Worten: Ich, der mächtige Präsident, sitze hier in trauter Runde mit Leuten, die mich fortgesetzt zwingen, Dinge zu tun, die mir unangenehm sind.“
    Und wieder machte er eine Pause. Beifall erwartete er diesmal offenbar nicht. Prüfend schaute er in die Runde.
    Worauf will er hinaus , dachte Sando beunruhigt. Kommt jetzt die Schelte für unser Tun? Will er, dass wir uns künftig aus seinen Angelegenheiten heraushalten?
    Auch die anderen wirkten irritiert, warfen einander fragende Blicke zu.
    Wanderer spürte den Stimmungsumschwung, die Verunsicherung seiner Gäste. Er galt als geschickter Psychologe, der meisterhaft auf der Klaviatur menschlicher Empfindungen zu spielen vermochte. Er wusste, je länger er die Pause jetzt ausdehnte, umso intensiver arbeitete es in den Hirnen seiner Zuhörer, umso mehr trauten sie ihm, dem angeschlagenen Präsidenten, in seiner verletzten Eitelkeit auch Repressionen zu.
    Über dem beredten Schweigen lag das helle Klingen des metallenen Kornfeldes.
    „Ich habe Sie nicht ohne Grund in den Schattenhain gebeten“, setzte er leise fort und ließ seine Augen über die gleißende Ebene schweifen. „Ich bin oft hier, um mir das Gleichnis immer wieder vor Augen zu führen.“
    Er hob die Hand, um das blendende Licht etwas abzumildern, und richtete nun das Wort an Sando: „Du bist noch neu in Katharsia … Siehst du die großen Schattenfiguren, die die Ebene überziehen wie ein Krebsgeschwür?“
    „Ja“, antwortete der Junge mit rauer Stimme. Diese rätselhaften Schatten, deren Quelle ihm unklar war, hatte er schon vom Gleiter aus gesehen.
    „Und weißt du, was es damit auf sich hat?“, bohrte Wanderer.
    „Nein“, sagte Sando einsilbig.
    Der Präsident nickte.
    „Die Schatten sind ein Symbol, Sando. Jede Figur steht für einen Mächtigen, der für den Tod vieler Menschen verantwortlich ist.“
    „Und das Feld? Die goldenen Halme?“
    „Sie symbolisieren die Seelen der Opfer.“
    Wanderer

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