Katharsia (German Edition)
ehemaliger Berater Battoni mag eine wichtige Figur gewesen sein“, unterbrach ihn der Präsident, „doch der Kopf war er nicht. Die Organisation ist so aktiv ist wie eh und je, schürt Unruhe in der Bevölkerung, verübt Anschläge, setzt alles daran, die Lage in Katharsia zu destabilisieren. Und wir tappen im Dunklen. Uns ist völlig unklar, wer im Zentrum des geheimen Netzwerkes die Fäden zieht.“
„Und Sie meinen, wir könnten den Betreffenden ausfindig machen?“
Die Skepsis in Bens Stimme war unüberhörbar.
Doch Wanderer fuhr unbeirrt fort: „Die Indizien sprechen dafür, dass die Seelenretter bereits Kontakte zum Hades geknüpft haben. Die Frau, die den Anschlag in Dresden verüben wollte, ist eine Hadesentlassene. Die Mütter vieler KORE-Kämpfer ebenfalls. Leider ist unser Versuch, sie zu befragen, kläglich gescheitert. Sie sprechen nicht über die Zeit ihrer Gefangenschaft.“
„Eines verstehe ich nicht“, meldete sich Nabil. „Wenn die Seelenretter Einfluss auf den Hades haben, bedeutet das doch, dass die Wachen nicht so zuverlässig sind, wie immer behauptet wird.“
„So weit würde ich nicht gehen.“ Wanderer wiegte bedächtig den Kopf. „Sie müssen sich vor Augen halten, dass die Männer etwas bewachen, was sie nicht sehen können: Seelen. Wer weiß, was dort in den Verliesen geschieht, ohne dass es wahrgenommen wird …“
„Wenn es den Hades nicht gäbe, hätten wir das Problem nicht“, warf Sando unvermittelt ein.
Wanderers Gesicht versteinerte. Er schloss die Augen, um sich zu sammeln. Dann entgegnete er gefasst: „Nein, bitte jetzt nicht diese Diskussion. Ich kenne die Argumente dieses Jannis zur Genüge und ich sage dir, Sando, es ist völlig ausgeschlossen, den Hades aufzulösen. Du hast den Hain gesehen. Zum Glück ist es nur eine Metapher. Ich werde nicht zulassen, dass die Schatten wieder auferstehen.“
Ben, Gregor und Nabil schauten Sando peinlich berührt an. Ihre Blicke sprachen klarer als Worte: Wie konnte er den Präsidenten nur mit den Ansichten dieses Spinners belästigen?
Wanderer spürte die Missstimmung unter seinen Gästen. In der Absicht, Sando eine Brücke zu bauen, sagte er väterlich: „Aber wenn ich dich recht verstehe, Sando, wolltest du eher auf die Zustände im Hades hinweisen. Was das betrifft, ist Kritik durchaus berechtigt. Ich will gar nicht leugnen, dass das Wachpersonal überfordert ist. Es hat den Überblick verloren, welche Seele sich in welcher Zelle aufhält. Es ist kaum mehr möglich, eine bestimmte Seele ausfindig zu machen. Ohne Auvisor droht das Chaos …“
Ohne Auvisor? Bei Sando läuteten die Alarmglocken. Wollte ihn der Präsident etwa in den Hades schicken?
Sein Herz pochte heftig, während Wanderer weitersprach: „Aber mit deiner Hilfe, Sando, könnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wenn du als Auvisor hilfst, die Ordnung im Hades wiederherzustellen, erfahren wir auch, wie es den Seelenrettern gelingt, Kontakt zu den Inhaftierten aufzunehmen.“
Nun war es heraus. Dazu also hatte der Präsident ihm und seinen Gefährten eine Audienz gewährt. Wie großzügig!
Sando sah, wie die anderen den Ausführungen Wanderers andächtig lauschten und zustimmend nickten. Wie konnten sie nur?! Alles in ihm sträubte sich gegen einen Einsatz im Hades. Nein, das ließ er nicht mit sich machen! Nicht in den Hades! Es war genug! Es reichte jetzt!
Er hörte nicht auf das, was Wanderer noch sagte. Mochte er doch reden, was er wollte, mochte er doch um Hilfe flehen! Spar dir deinen Atem, Wanderer! Ich habe genug durchgemacht! Was geht mich Katharsia an? Warum soll ausgerechnet ich es retten?
Sando sprang auf. Alle schauten ihn an. Erwartungsvoll. Er atmete schwer. Die Brust drohte ihm zu zerspringen.
„Nicht in den Hades!“, brachte er mühsam hervor. Dann rannte er den Hügel hinab, hinein in das Kornfeld aus totem Metall. Bimmelnd brachen die dünnen Halme, bis er sich hinwarf. Er heulte wie ein junger Wolf. So hart war ihm der Jammer noch nie angekommen auf seiner unfreiwilligen Reise durch das Seelenreich. Nie war seine Sehnsucht nach der Mutter, nach dem Vater, das Verlangen nach Geborgenheit so groß gewesen wie in diesem Augenblick. Er hatte sein Gesicht vergraben im metallenen Stroh. Sein gekrümmter Körper bebte vom Schluchzen. Er wollte fort aus diesem endlosen Albtraum, wieder ganz normal zur Schule gehen und mittags auf dem Nachhauseweg, wie er es so oft getan hatte, Maria besuchen.
Schritte näherten sich. Sie
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