Katharsia (German Edition)
sichtlichem Wohlgefallen.
„Nun, hast du dich inzwischen an die Kleidung gewöhnt?“, unterbrach er schließlich die Stille.
Sando strich mit der Hand über den glänzenden Seidenstoff. „Ja, sie ist sehr bequem.“
„Das freut mich.“ Doktor Fasin lächelte verschmitzt. „Einen Jungen katholischen Glaubens in Turban und Kaftan sieht man nicht alle Tage.“
Erstaunt setzte sich Sando auf, was sein voller Magen mit einem unangenehmen Druckgefühl quittierte. „Woher wollen Sie wissen, dass ich katholisch bin?“
„Was sonst? Du trägst ein Bildnis der Maria auf der Brust und hast nach ihr gerufen, als der Engel dich bedrohte.“
Sando lächelte gequält. Stadlmeyr hatte dem Doktor offenbar alles haarklein erzählt – und der hatte prompt die falschen Schlüsse daraus gezogen.
„Ich habe nicht nach der Muttergottes gerufen.“
Doktor Fasin musterte ihn mit gerunzelter Stirn. „Nicht? Und wen hast du mit Maria gemeint?“
„Meine Reisegefährtin. Ihr gehört auch das Medaillon.“ Während sich Sando wieder zurück auf den Teppich sinken ließ, setzte er hinzu: „Sie müsste auch hier in Katharsia sein. Vielleicht ganz in der Nähe.“ Der schmerzhafte Stich in seinem Bauch kam diesmal nicht von dem üppigen Mahl.
„Deine kleine Freundin?“, fragte Doktor Fasin behutsam.
Sando spürte, wie er errötete. „Nein, nein“, wehrte er rasch ab, „nur meine Patentante.“
„So, so … nur deine Patentante“, echote der Doktor gedehnt. Er hatte den Jungen durchschaut, doch er drang nicht weiter auf ihn ein. „Du wirst sie schon finden“, versuchte er, ihn zu trösten. „Frag morgen in der Behörde nach ihr.“
Er machte Kazim ein Zeichen.
Als hätte der darauf gewartet, kam er mit einem silbernen Tablett, auf dem zwei kleine Tässchen standen. Angenehmer Duft erfüllte den Raum. „Pfefferminztee aus frischen Blättern, das wird dich aufmuntern.“
Sando schlürfte das heiße Getränk. Es tat ihm gut.
„Darf ich die Madonna sehen?“, fragte der Doktor unvermittelt. Wortlos nestelte Sando das Medaillon hervor und reichte es ihm. Der betrachtete es aufmerksam.
„Ein Raffael … Interessant!“
„Sie kennen das Bild?“
„Ja, allerdings in veränderter Form.“
„Verändert? Wie das?“
„Ganz einfach, Junge: Als Raffael nach Katharsia kam, hat er dieses Bild erneut gemalt. Und wie Künstler so sind, belassen sie es nicht bei einer plumpen Kopie. Sie streben nach Verbesserung, nach Vollkommenheit.“
„Was sollte denn an diesem Bild noch vervollkommnet werden?“
„Ich bin kein Kunstexperte. Ich sehe nur, dass die Figur links neben der Madonna auf deinem Medaillon eine andere ist als auf dem Gemälde, das hier in Katharsia entstand. Wenn du mehr darüber wissen möchtest, musst du in der Galerie nachfragen, in der es ausgestellt ist.“
„Und wo ist das?“
Auf diese Frage hin sah der Doktor den Jungen vielsagend an. „Nun, was denkst du?“
Sando klopfte das Herz bis zum Halse. Er wagte kaum, es auszusprechen.
„In Dresden?“
„Du sagst es. Deine Heimatstadt, wenn ich nicht irre …“
„Dresden gibt es also auch hier!“
Sando war, als fiele ihm ein Stein vom Herzen, weil in dieser Welt ein Ort existierte, den er, wenigstens dem Namen nach, als sein Zuhause ansehen konnte.
„Wissen Sie, wie es dort aussieht? Nun sagen Sie schon!“
Die Aufregung seines Gastes ließ den Doktor schmunzeln.
„Ziemlich barock“, antwortete er. „Als Pöppelmann und Chiaveri seinerzeit nach Katharsia kamen, haben sie es sich nicht nehmen lassen, der Stadt auch in dieser Welt ihr Gepräge zu geben.“
Es klirrte leise. Sando hatte die kleine Teetasse umgestoßen, nach der er mit fahrigen Händen gegriffen hatte. Nun versuchte er, die verschüttete Flüssigkeit, die in kleinen Kügelchen über die Seide seines Kaftans rann, mit nervösem Schlenkern wieder abzuschütteln.
Kazim sprang mit einer Serviette herbei und tupfte vorsichtig die Tropfen auf. „Macht nichts, junger Herr, ich bringe neuen Tee.“
Amüsiert verfolgte Doktor Fasin die Szene. Er wartete ab, bis alles wieder hergerichtet war, eine frisch dampfende Tasse vor Sando stand und er sich beruhigt hatte. Dann fragte er: „Weißt du, warum diese Welt Katharsia heißt?“
„Nein. Und Herr Stadlmeyr konnte mir darauf auch keine Antwort geben.“
Auf Doktor Fasins Gesicht erschien ein spöttisches Lächeln. „Das wundert mich nicht.“ Er nahm einen langen Zug aus seiner Shisha und blies dann langsam den Rauch
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