Katharsia (German Edition)
und sagte schließlich: „Komm mit, Sando! Dort an dem alten Brunnen lässt es sich gut reden.“
Sie betraten den kurzgeschorenen Rasen und gingen schweigend auf das urige Schöpfwerk zu, Sinnbild für den Erfindergeist der Vorfahren. Sando setzte sich neben den alten Holzeimer auf den Brunnenrand. Doktor Fasin lehnte sich an das Griffkreuz an der Seiltrommel, die sich daraufhin leise quietschend ein Stück drehte.
„Tja, Sando … warum habe ich Fatima als mein Wunschwesen ausgegeben …“, begann er. „Dazu musst du wissen, unter welchen Umständen sie mir im Hades begegnet ist. Ich hatte eine Liste von Frauen, die entlassen werden sollten, weil aus heutiger Sicht kein Haftgrund mehr bestand. Darunter war Djamila. Ich hatte nur diesen Namen. Von ihrer Lebensgeschichte weiß ich bis heute nichts. Meine Aufgabe war es, sie zu finden und für die Entlassung vorzubereiten. Die Suche war schwierig. Du kennst ja die Zustände, Sando. Monatelang fahndete ich vergeblich nach ihr. Eines Tages fragte ich Wachleute nach dem Inhalt eines Kokongefäßes, das sie an meinem Sprechzimmer vorbeitrugen. Sie drucksten ein Weilchen herum, dann stellte sich heraus: Sie hatten eben jene gesuchte Djamila einer Sonderbehandlung unterzogen und wollten sie nun heimlich, still und leise fortschaffen in den Zellentrakt. Sie war nur noch ein trüber Fleck auf dem Monitor. Ich tat alles, um sie zu retten. Wochenlang habe ich sie im Energiespender aufgepäppelt, bis sie wieder frei schweben konnte. Doch die furchtbare Folter hatte offenbar alle Bilder bei ihr gelöscht. Ich setzte die empfindlichsten Scanner ein, doch ich konnte nichts entdecken, was auf eine Erinnerung schließen ließ. Ich habe mich dennoch entschlossen, das Retamin, das ihr zugeteilt war, einzusetzen und ihr den Körper zurückzugeben. Nun hatte ich es mit einer jungen Frau ohne Geschichte zu tun, die aber von großer Intelligenz war und sich schnell in Katharsia zurechtfand. Sie war hier gewissermaßen neu geboren worden und so glücklich, dass ich es für richtig hielt, ihr einen anderen Namen zu geben und sporadisch aufblitzende Erinnerungen mit Medikamenten zu unterdrücken. Ich hatte gehofft, ihr die Schmerzen der Vergangenheit ersparen zu können. Natürlich musste ich ihr eine Erklärung dafür liefern, dass sie sich nicht wie andere an ein irdisches Leben erinnern konnte. Am plausibelsten war es daher, sie als mein Wunschwesen auszugeben.“
Er machte eine Pause. Vom Schloss her zirpten leise die Seelen.
„Wie es scheint, ist nun das Gebäude, das ich in vielen Jahren errichtet habe, wie ein Kartenhaus zusammengefallen.“
Doktor Fasin sah Sando nachdenklich an. Das leise, rhythmische Quietschen der Seiltrommel, an der er lehnte, verriet seine Nervosität.
„Und nun?“, fragte Sando.
Doktor Fasin seufzte.
„Tja … ich hoffe Djamila verzeiht mir … und … und erzählt mir irgendwann ihre Lebensgeschichte.“
Zum Abendessen erklärte Kazim, noch ehe er die Speisen auftrug: „Fatima geht es nicht gut. Doktor Fasin kümmert sich um sie.“
Offenbar wusste er nicht, was mit ihr geschehen war, sonst hätte er sicher den Namen „Djamila“ benutzt.
Ben schaute besorgt drein. Er hatte Djamila vom Wasserparadies zu dem kleinen Appartement, das sie im Schloss bewohnte, begleitet. Vor der Tür hatte sie ihn gebeten, sie allein zu lassen, weil sie Zeit brauche, das Geschehene zu begreifen. Seitdem hatte keiner der Gefährten sie gesehen.
„Was hat Doktor Fasin gesagt?“, wollte Ben von Sando wissen. Während Kazim dampfende Schüsseln und Terrinen heranschleppte, berichtete Sando von seinem Gespräch mit dem Doktor. Ben hörte mit wachsendem Unmut zu.
„Wie kann er jahrelang ihre Erinnerung unterdrücken?!“, regte er sich auf. „Und dann noch behaupten, sie sei glücklich damit gewesen!“
„Sicher war es ein Fehler“, gab Sando zu, „aber um ehrlich zu sein, wie das heulende Elend wirkte sie als Fatima auch nicht. Ich glaube, Doktor Fasin hat sich alle Mühe gegeben, ihr ein gutes Leben zu ermöglichen.“
„Ein falsches Leben kann nicht gut sein“, widersprach Ben.
„Nicht auf Dauer“, pflichtete ihm Gregor bei. „Das hätte er als Fachmann wissen müssen.“
„Vielleicht hat es ihm geschmeichelt, dass ihn Djamila als ihren Schöpfer angesehen hat“, hieb Ben weiter in die Kerbe.
„Nun hört aber auf!“, rief Sando empört. „Er hat selbst eingesehen, dass es falsch war!“
Schweigend begannen sie zu essen. Der Koch hatte sein
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