Katharsia (German Edition)
Im Gegenteil. Er hatte das Gefühl, den Präsidenten zu verraten. Er war der Einzige, der im Hades nach dem Rechten sehen konnte. Was sollte werden, wenn er jetzt schlappmachte?
„Nein, bitte, es geht schon! Wirklich, Herr Wanderer“, sagte er mit fester Stimme ins Telefon und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Geben Sie mir Gregor und Nabil mit und wir werden herausfinden, was die Seelenretter vorhaben.“
„Und was ist mit Ben?“
„Er hat in der Einwanderungskommission zu tun.“
„Ach so …“ Der Präsident schwankte. „Ich weiß nicht … Dich wieder in den Hades zu schicken …“
„Wer soll es denn sonst machen?“
Sando hatte sich wieder halbwegs gefangen.
„Ja, das ist das Problem“, sagte Wanderer. „Wenn es einen anderen gäbe, wäre ich nie und nimmer auf die Idee gekommen, einen Jungen wie dich dorthin zu schicken.“
Sandos Gedanken arbeiteten wieder soweit normal, dass er sprechen konnte, ohne einen erneuten Gefühlsausbruch befürchten zu müssen. „Doktor Fasin sagt, dass diese Folter den Seelen die Erinnerung raubt. Das heißt, man kann dann alles mit ihnen machen … also … wie soll ich sagen …“
„Du meinst, jeder könnte sie manipulieren, sie ausnutzen?“
„Ja, so ungefähr. Wir, also auch Ben, Gregor und Nabil, vermuten, dass das auch auf die Mütter der KORE-Kämpfer zutrifft.“
„Ein interessanter Gedanke.“ Wanderer dachte nach. „Es könnte sein, dass diese Sonderbehandlung gar keine Strafe ist, sondern gezielt betrieben wird, um Seelen für die Zeit nach dem Hades gefügig zu machen.“
„Ich weiß nicht“, erwiderte Sando. „Dann würde es doch genügen, die Seelen zu foltern, die entlassen werden sollen. Aber sie misshandeln so viele.“
„Du hast also eher den Eindruck, es handelt sich um die Gewaltorgien eines frustrierten Wachpersonals?“
„Ehrlich gesagt … ja.“
„Trotzdem, Sando, nach allem, was du schilderst, scheint es im Hades jemanden zu geben, der die Unzufriedenheit der Wachen für seine Zwecke nutzt. Vielleicht eine Spur zu den Seelenrettern …“
„Wie Sie sehen, muss ich wieder hin“, sagte Sando schweren Herzens.
„Willst du dir das wirklich antun?“
Der Präsident ließ einen Seufzer hören.
„Pass auf, wir machen es so: Ich sorge dafür, dass dich Gregor und Nabil begleiten können. Ich kläre das mit Herrn Kamlan, dem Chef des Hades. Sollte es dir dennoch nicht besser gehen, brechen wir die Aktion ab. Einverstanden?“
„Einverstanden.“
„Fein, dann sind wir uns ja einig.“ Es klang wie eine Verabschiedung, doch unvermittelt wechselte der Präsident das Thema: „Ist der Flügel in Ordnung?“
Selbst das hat er nicht vergessen , dachte Sando.
„Ein wunderbares Instrument. Mir ist nie ein besseres begegnet. Danke, Herr Wanderer.“
„Hast du schon darauf gespielt?“
„Ja, eben, als Sie anriefen.“
„Ich habe dich also gestört, bitte verzeih mir, Sando.“
„Sie konnten ja nicht wissen, dass ich gerade am Flügel sitze … Jedenfalls … wenn ich spiele, fühle ich mich besser.“
„Dann hat sich ja die Mühe gelohnt. Es war nicht leicht, ein geeignetes Instrument aufzutreiben.“
Der Präsident klang zufrieden.
„Also, Sando, dann will ich dich nicht weiter aufhalten. Musizieren ist bestimmt angenehmer, als mit mir zu reden.“
„So ist das nun auch wieder nicht“, sagte Sando höflich.
Wanderer lachte. „Na dann, mach’s gut! Ich bewundere deine Tapferkeit. Wir hören voneinander.“
„Halt, bitte nicht auflegen, Herr Wanderer!“, rief Sando plötzlich. Er hatte Glück. Der Präsident war noch in der Leitung.
„Ja, ich bin noch dran. Was ist, Sando?“
„Wenn Sie schon mit Herrn Kamlan sprechen, können Sie nicht dafür sorgen, dass die Folter aufhört?“
„Gut“, versprach Wanderer ohne Umschweife, „ich werde anweisen, dass er die Sonderbehandlungen zu unterbinden hat.“
Damit war das Gespräch beendet.
Sando wendete sich wieder dem Flügel zu. Die Angst vor dem nächsten Tag im Hades war verflogen. Gregor und Nabil würden ihn begleiten und den Anblick gepeinigter Seelen musste er auch nicht mehr befürchten. Außerdem hob die Aussicht auf den Presseball, dessen Überraschungsgäste sie am nächsten Abend sein sollten, Sandos Stimmung. Entspannt glitten seine Finger über die Tasten, bis die Müdigkeit stärker war als seine Freude am Spiel.
DIE INSPEKTION
Der Präsident hatte Wort gehalten. Als Doktor Fasin und Sando am nächsten Morgen in die
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