Katharsia (German Edition)
unauffälliges Nicken von Doktor Fasin hin gaben die Gefährten nach.
„Ich stelle Ihnen einen Mitarbeiter zur Verfügung“, sagte Kamlan erleichtert. „Einen, der sich bestens im Hades auskennt und Sie führen wird.“
Er verabschiedete sie mit dem Hinweis auf seine knapp bemessene Zeit.
Im Hinausgehen bemerkte Sando, dass Kamlan den Dolch nachdenklich in den Händen drehte. Das aufgeräumte Büro hatte sich in eine bunte Blumenwiese verwandelt. Sando vermeinte, den Duft der Blüten zu riechen, während er sich im Vorzimmer den Schutzanzug wieder überstreifte.
Kurz darauf befuhren Sando, Gregor und Nabil Trakt A, den ersten der fünf Hadesgänge. Der Begleiter, den Kamlan ihnen zugeteilt hatte, war ein dunkelhäutiger Wachmann namens Jimmy. „Na, dann wollen wir mal schauen, ob die Putzkolonne ganze Arbeit geleistet hat“, hatte er sie launig begrüßt. Nun beobachtete er neugierig, wie Sando während der Fahrt nach weißlich schimmernden Flecken auf dem Boden des Ganges Ausschau hielt.
„Es ist wie Pilzesuchen“, sagte er mit weiß aufblitzenden Augäpfeln in seinem dunklen Gesicht. „Man muss den richtigen Blick dafür haben, stimmt’s?“
„Hm …“, brummte Sando, aufmerksam den Boden betrachtend. Bisher war das Rot des Belages makellos, keine Spur eines Seelenrestes.
„Als Kind war ich oft im Wald und hatte ein gutes Auge für Pilze“, sinnierte Jimmy. „Selbst wenn keiner mehr etwas gefunden hat, mein Korb war immer so voll, dass die Familie satt wurde. Immerhin fünf Personen. Mum und Dad, meine beiden Schwestern Kathie und Joan und ich.“
Er geriet ins Schwärmen.
„Für Pilze, wie Mum sie zubereiten konnte, hätte ich den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Ich habe immer am meisten von allen gegessen. Das war nur gerecht. Ich hatte ja auch am meisten gesammelt.“
„Den Pilzblick kann man lernen“, brummte Nabil, dem Jimmys Plapperei auf die Nerven ging. „Seelen sehen nicht.“
„Da haben Sie auch wieder Recht. Der Junge ist etwas Besonderes.“
Aus Jimmys Stimme klang ein Anflug von Bewunderung.
„Ich arbeite nun schon seit acht Jahren hier, aber eine Seele ist mir noch nie zu Gesicht gekommen. Wird Zeit, dass uns einer mal schildert, was hier los ist.“
Er schaute sich um und ihm war anzusehen, dass ihm dieser unterirdische Ort noch immer nicht geheuer war.
„Ich finde, irgendwie spürt man, dass sie da sind.“
Auch Gregor betrachtete mit gemischten Gefühlen die nummerierten Türen, hinter denen die inhaftierten Seelen steckten. Ein ums andere Mal hob er den Kopf und versuchte, durch die Gitterroste einen Blick hinauf bis in die zehnte Etage zu erhaschen. Die Dimension der Anlage löste ein Gefühl der Beklommenheit bei ihm aus.
Als die Gondel an einem Wachmann vorüberfuhr, der mit vorgehaltenem Seelenscanner eine Zellentür öffnete, stieß Gregor Sando an: „Sieh mal dort! Gleich tauchen Seelen auf!“
Sando schreckte auf. Der stetige Blick auf den roten Bodenbelag hatte ihn vergessen lassen, was um ihn herum geschah. „Seelen? Wo?“
Gregor wies auf die Zellentür, hinter der nun der Wachmann verschwand.
„Kannst du etwas entdecken, Sando?“
Sando winkte ab. „Es ist nichts. Beruhige dich, Gregor! Der Mann muss erst durch eine Schleuse, bevor er die Zelle betreten kann.“
Jimmy amüsierte sich über den Neuling. „Glauben Sie wirklich, dass die Seelen hier so ohne Weiteres herausspazieren könnten? Dann würde hier bei jeder Zelleninspektion Alarmstufe Rot herrschen.“
Sando nahm seinen Gefährten in Schutz. „So selten scheint es ja nicht vorzukommen, dass Seelen versuchen zu entweichen. Würden sonst so viele gefoltert werden?“
„Du meinst die Sonderbehandlungen, die ab heute verboten sind?“
„Genau die.“
In Jimmys Gesicht arbeitete es. Nicht lange, dann platzte es aus ihm heraus: „Also, Junge, so sehr ich dich für deine Seelenseherei bewundere, aber dieses Verbot ist echter Bockmist! Bisher konnten wir uns Respekt verschaffen, doch wenn die Häftlinge mitkriegen, dass wir sie nur noch mit Samthandschuhen anfassen dürfen, werden wir die Kontrolle verlieren.“
„Ist es nicht umgekehrt?“, fragte Gregor. „Sind es nicht Ihre Foltermethoden, die den Druck im Kessel erhöhen? Sollte er eines Tages platzen, ist es aus mit Ihrer Kontrolle.“
Jimmys Miene verdüsterte sich. „Das ist doch – Sie werden verzeihen – dummes Zeug! So weit wird es nie kommen. Bisher sind wir sehr gut gefahren damit, den Hades mit harter
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