Katharsia (German Edition)
Verantwortung, die mit seinem Posten als Hadeschef verbunden waren.
Doktor Fasin sah dezent auf die Uhr, doch Kamlan schien es nicht zu bemerken und schwadronierte: „Natürlich ist das alles nicht so einfach. Du hast ja den Riesenbetrieb hier gesehen, Sando. Veränderungen dauern und ich bin, offen gestanden, stolz darauf, wie schnell wir Ordnung und Sauberkeit in den Gängen wieder hergestellt …“
„Sie sagten vorhin, Sando hätte einiges wieder gutzumachen“, unterbrach ihn Doktor Fasin.
Kamlan zog unmerklich den Kopf ein, die Augen schmal auf den Doktor gerichtet. „In der Tat“, sagte er. „Es besteht ein gewisser Unmut in der Belegschaft.“
„Womit soll er sich denn den Unmut der Leute zugezogen haben?“, wollte Doktor Fasin wissen.
Kamlan drückte die Fernbedienung und die Runde fand sich in einer schroffen Berglandschaft wieder. Sie saßen auf einer Alm, umgeben von schneebedeckten Gipfeln. Sando glaubte, einen kühlen Wind zu spüren. Ihn fröstelte.
„Nun, heute Morgen bekam ich einen Anruf. Vom Präsidenten persönlich“, eröffnete ihnen Kamlan. „Er war sehr freundlich, aber auch sehr bestimmt.“
„Was wollte er?“, fragte Doktor Fasin ungeduldig.
„Er wollte, dass die Sonderbehandlungen eingestellt werden. Genauer gesagt, er hat sie strikt verboten.“
„Ach so?“ Doktor Fasin sah Sando erstaunt an. „Hast du mit dem Präsidenten über die Sonderbehandlungen gesprochen?“
„Es ist Folter“, sagte Sando mit belegter Stimme.
Kamlan schüttelte verärgert den Kopf. „Sieh mal, Junge“, sagte er, „du musst verstehen, dass es böses Blut gibt, wenn jahrhundertealte Gepflogenheiten von einem Tag auf den anderen über den Haufen geworfen werden. Der Präsident ist weit weg. Er versteht nicht viel von den Verhältnissen hier. Er kann nicht wissen, dass diese Sonderbehandlungen, so grausam sie dir erscheinen mögen, einen Sinn haben. Sie geben den Wachleuten das Gefühl, dass sie den unsichtbaren Geistern nicht machtlos ausgeliefert sind.“
„Es ist Folter!“, beharrte Sando. „Ich habe gesehen, wie die Seelen leiden.“
„Ich verstehe dich ja, Junge“, sagte nun Doktor Fasin mitfühlend. „Dennoch ... Ist es denn nötig, mit jedem Problem gleich zum Präsidenten zu gehen? Der erste Ansprechpartner wäre Herr Kamlan gewesen. Ich hatte dir gestern versprochen, heute mit ihm zu reden. Das kann ich mir jetzt freilich sparen.“
„So ist es“, bemerkte Kamlan verstimmt.
Sando fühlte sich wie eine Petze. Unsicher sah er zu Gregor und Nabil. Was würden sie von ihm halten?
Er bemerkte, dass Gregors Gesicht rot glühte. Schämte er sich für ihn?
„Wenn Sie gestatten, meine Herren“, hörte er ihn sagen, „wenn ich recht verstanden habe, hält Herr Kamlan die Folter für eine sinnvolle Tradition.“
„Nicht die Folter“, widersprach Kamlan. „Diese Bezeichnung kommt von Ihrer Seite. Sie ist unsachlich und trifft nicht den Kern. Wir müssen das Recht haben, Seelen zu bestrafen, sonst tanzen sie uns bald auf der Nase herum.“
Gregor blickte Kamlan herausfordernd an. „Ein Gespräch mit Ihnen über die Abschaffung der Folter hätte demzufolge keinen Sinn gehabt, nicht wahr?“
Kamlan schnaufte irritiert. „Ich bitte Sie, so kann man das auch wieder nicht sehen. Mit mir kann man doch reden.“
Er blickte Hilfe suchend zu Doktor Fasin hinüber, doch der schwieg, sprang seinem Chef nicht zur Seite. Kamlans Finger trommelten auf der blanken Schreibtischplatte, griffen nervös zur Fernbedienung. Unvermittelt veränderte sich das Bild auf den Monitoren. Sie saßen inmitten von Sanddünen. Die Sonne brannte über einer heißen Wüstenlandschaft. Kamlan wurde es unbehaglich in seinem Maßanzug. Er schob den Zeigefinger hinter den eng sitzenden Krawattenknoten, lockerte ihn ein wenig. „Nichts für ungut“, sagte er schließlich, „ich habe sie ja nun verboten, die Sonderbehandlungen. Und im Gegenzug …“ Er erhob sich von seinem Chefsessel. „Also … es wäre sehr hilfreich für die Stimmung hier, Sando, wenn du trotz unserer kleinen Meinungsverschiedenheit den Hades inspizieren würdest.“
Kleine Meinungsverschiedenheit?
Sando wollte widersprechen. Doch Kamlan ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern wandte sich an Gregor und Nabil: „Ich würde es sehr begrüßen, meine Herren, wenn Sie unseren jungen Freund begleiten würden.“
Die beiden zögerten, worauf der Hadeschef sanft drängte: „Betrachten Sie es als eine Bitte.“
Auf ein
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