Katharsia (German Edition)
Chefredakteur vor.
„Ja, Ben Hakim“, sagte der und schaute ihn unverwandt an. „Ich kenne Sie noch als betagten Herrn. Sie hatten offenbar das große Glück, eine Retaminquelle zu finden. Es ist schon erstaunlich, was das bewirken kann …“
„Danke“, erwiderte Ben. „Aber höre ich da in Ihren Worten einen leisen Vorwurf, weil ein solcher Jungbrunnen nicht jedem vergönnt ist?“
„Nein, nein!“, beeilte sich der Chefredakteur zu versichern. „Ich gönne es Ihnen ehrlichen Herzens. Sie sind ja damals nicht freiwillig vom Hochhaus gesprungen.“
„Das kann man wohl sagen“, versetzte Ben. „Leider hat Ihre Zeitung diese Tatsache verschwiegen.“
Bin Dschamal schluckte.
„Na ja … Sie müssen uns verstehen. Noch vor Wochen war die Situation nicht danach. Kritik am KORE kam einem Selbstmord gleich.“
Ben lächelte bitter. „Und Sie? Haben Sie irgendetwas dazu beigetragen, dass es heute anders ist?“
Der Chefredakteur schwieg dazu. Er schien peinlich berührt. Sando empfand beinahe Mitleid mit dem Mann.
Ben schien es ähnlich zu gehen und er sagte versöhnlich: „Na ja, nichts für ungut. Es steht mir nicht zu, jemandem Angst vorzuwerfen.“
Bin Dschamal atmete spürbar auf. „Sie ahnen gar nicht, wie froh ich bin, diese Bande los zu sein!“, rief er aus, zog aber sofort den Kopf ein, als sich einige der umstehenden Ballgäste erstaunt nach ihm umdrehten.
Sando musste schmunzeln, woraufhin der Chefredakteur seufzte: „Man hat’s nicht leicht, Junge. Aber … Ach, was soll’s …“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung, straffte sich und besann sich auf seine Rolle als Gastgeber.
„Jetzt, da die Herren beisammen sind, würde ich Sie gern unseren Gästen vorstellen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“
Er schlängelte sich durch die Menschenmenge zur Mitte des Saales, wo sich die Bühne wie eine Insel aus dem Meer von Köpfen erhob, erklomm sie über ein kleines Treppchen und trat ans Mikrofon. Die Musiker unterbrachen ihr Spiel mit einem Tusch.
„Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit!“
Das Gros der Köpfe drehte sich dem Podium zu. Gewisper breitete sich aus. Viele im Publikum erkannten die Ankömmlinge und gaben ihr Wissen an die Umstehenden weiter. Wieder machte das Wort „Auvisor“ die Runde. Es dauerte nicht lange und es gab wohl niemanden im Saal, der nicht gespannt auf das wartete, was nun kommen würde.
Als sich der Chefredakteur der Aufmerksamkeit der Zuschauer sicher war, sagte er: „Meine Damen und Herren, wir hatten Ihnen Überraschungsgäste versprochen. Und hier sind sie! Ich glaube, es ist überflüssig, sie vorzustellen. Wer kennt ihn nicht, den Chef der New Yorker ,Katharsia TIMES‘ und Moderator Enzo Vitelli, der mit bewundernswertem Mut die Öffentlichkeit über Missstände informiert …“
Beifall klang auf, verhalten zwar, aber in den Gesichtern spiegelte sich freundliche Zustimmung. Karim Bin Dschamal fuhr fort: „Und wer kennt sie nicht, die standhaften vier, die der Verfolgung durch das KORE trotzten … Unter ihnen der Auvisor Sando Wendelin. Besonders stolz können wir alle darauf sein, dass die Gruppe ihren schweren Weg hier in Makala begonnen hat.“
Die Zuschauer applaudierten, manche mit ehrlicher Begeisterung, andere eher zurückhaltend.
Verlegen verbeugten sich Sando, Ben, Gregor und Nabil.
Ben trat ans Mikrofon. „Danke. Vielen Dank“, sagte er. „Gestatten Sie mir, noch eines hinzuzufügen. Sie alle wissen, dass der Präsident die Auflösung des KORE verfügt hat. Es ist ein erster Schritt. Doch er reicht nicht aus. Der Putschversuch in New York beweist: Die Gefahr ist nicht gebannt, sondern größer geworden! Und ich appelliere an Sie alle, Samuel Wanderer, so umstritten er auch sein mag, jetzt zur Seite zu stehen!“
Ben trat vom Mikrofon zurück. Einige wenige klatschten und brachen dann verunsichert ab, weil die Mehrheit nicht dergleichen tat. Es entstand ein eisiges Schweigen. Sekunden dehnten sich zur Ewigkeit. Plötzlich wurden Pfiffe und Buhrufe laut.
Eilig trat Chefredakteur Karim Bin Dschamal vor und sagte: „Das war ein klares Bekenntnis, Herr Hakim. Danke dafür.“
Der Ton war distanziert. Dem Zeitungschef ging es offensichtlich gegen den Strich, dass Ben die Gelegenheit zu einer politischen Stellungnahme genutzt hatte. Mit aufgesetztem Lächeln komplimentierte Bin Dschamal die Gäste von der Bühne.
„Ich denke, es ist nun auch für Sie an der Zeit zu feiern, meine Herren. Ich wünsche
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