Katharsia (German Edition)
fliegen. Durch seine Tätigkeit bei der Einwanderungskommission hatte sich bereits herumgesprochen, dass er sich wieder in Makala aufhielt. Man würde stutzig werden, wenn er gemeinsam mit Vitelli angeblich direkt aus New York eintraf. Doktor Fasin würde Ben in seinem Mobil mit zum Ball nehmen.
„Das muss er sein!“, sagte Gregor plötzlich und wies auf einen unstet flackernden Punkt am Himmel, der zunehmend heller wurde.
Kurz darauf waren die Umrisse des Gleiters auszumachen. Gebannt beobachteten die Gefährten, wie er an Größe gewann. Und wenige Sekunden später schwebte der silbern glänzende Rumpf wie eine überdimensionale Zigarre über ihren Köpfen und senkte sich lautlos auf den Rasen hinab.
Vitelli eilte ihnen mit der ihm eigenen Lebhaftigkeit entgegen. Er breitete seine Arme aus und umarmte jeden Einzelnen. Doch in dem freundlichen Hallo, mit dem er sie begrüßte, vermeinte Sando einen besorgten Unterton zu hören.
„Schlechte Neuigkeiten?“, fragte er.
Vitelli sah ihn erstaunt an.
„Ist die Nachricht noch nicht bis hierher vorgedrungen?“
„Welche Nachricht?“
Auf diese Frage hin sog der Moderator geräuschvoll die Luft ein. Ungeachtet seines Abendanzuges, den er zum Presseball angelegt hatte, setzte er sich auf den gemauerten Brunnenrand.
„Es steht nicht gut in New York“, sagte er. „Sie haben Mrs. Brandau als Geisel genommen.“
Die Gefährten schwiegen betroffen. Wer hinter der Entführung steckte, fragten sie nicht. Sie wussten es auch so.
„Was ist ihre Forderung?“, fragte Ben schließlich. „Wollen die Seelenretter, dass das KORE-Verbot wieder aufgehoben wird?“
Vitelli schüttelte den Kopf.
„Das Verbot interessiert sie nicht. Sie gehen aufs Ganze. Sie fordern den Präsidenten auf, sich in ihre Gewalt zu begeben.“
Sando glaubte, nicht recht gehört zu haben.
„Was wollen sie? Den Präsidenten?“
„Ein Putschversuch!“, entfuhr es Ben.
„Genau das ist es“, bestätigte Vitelli.
„Und Wanderer? Was wird er tun?“, wollte Sando wissen.
Vitelli zuckte ratlos mit den Schultern.
„Ich weiß nicht … Er schwankt. Ich fürchte, er wird nachgeben.“
„Wie kommen Sie denn darauf?“, brummte Nabil ungehalten. „So etwas darf er nicht einmal denken!“
„Ihm ist es ernst mit dem Gleichnis des Schattenhains“, sagte Vitelli nachdenklich. „Er würde nie einen Menschen opfern, nur um seine Macht zu erhalten – und Mrs. Brandau schon gar nicht.“
„Sind die beiden … wie soll ich sagen … Sie wissen schon …“, druckste Sando herum.
„Ich weiß nicht, ob sie ein Paar sind“, half ihm Vitelli aus der Verlegenheit. „Aber sie stehen sich sehr nahe und die Seelenretter wissen das.“
„Und jetzt? Er kann doch nicht alles diesen Leuten überlassen?!“, regte sich Nabil auf. „Wären die Opfer, die das kosten würde, mit seinem Gewissen vereinbar?“
„Natürlich nicht“, beschwichtigte ihn Vitelli. „Deswegen zögert der Präsident auch. Ich möchte jetzt nicht in seiner Haut stecken.“
Er erhob sich vom Brunnenrand und klopfte wie abwesend die Kalkspuren von seiner Hose. „Nur gut, dass Professor Strondheim bei ihm ist. Er wird Wanderer hoffentlich vor übereilten Entscheidungen bewahren.“
„Professor Strondheim ist frei?“, fragte Ben überrascht.
„Ja, das ist die gute Nachricht. Wanderer hat es irgendwie hinbekommen, dass der Retaminforscher gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wird.“
Sando seufzte. „Wenigstens etwas. Leider sind wir bei der Suche nach dem Key noch keinen Schritt vorangekommen.“
„Kein Hinweis? Nichts?“, fragte Vitelli mit der Neugier eines Reporters.
„Na, ja … ich weiß nicht … vielleicht der … Seldschukendolch im Hades …“
Ben horchte auf. „Ihr habt mir gar nichts davon erzählt.“
„Wann denn?“, wehrte Gregor den leisen Vorwurf ab, den er in Bens Stimme zu hören glaubte.
In der Tat war ihnen nach der Rückkehr aus dem Hades gerade mal Zeit geblieben, sich für den Ball herzurichten.
„Der Dolch lag bei Direktor Kamlan auf dem Tisch, als Briefbeschwerer“, sagte Gregor.
„Wie das?“ Ben verstand gar nichts mehr. „Du hast ihn doch in deinem Zimmer, Sando!“
„Es gibt nur eine Erklärung“, erwiderte Gregor. „Sandos Exemplar ist nicht die einzige Kopie, die existiert.“
„Damit haben wir den Beweis, dass die Seelenretter in Verbindung mit dem Hades stehen“, konstatierte Ben.
„Mit Kamlan – dem Direktor höchstpersönlich“, ergänzte Vitelli.
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