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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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machte einen etwas angespannten Eindruck.
    Sando klaubte sich den Warnruf sinngemäß aus dem Gedächtnis. „Achtung, Achtung!“, rief er. „Jemand kommt in die Zelle! Bleiben Sie, wo Sie sind! Es ist verboten, die Schleuse zu betreten! Zuwiderhandlungen werden bestraft!“
    „Gut gebrüllt!“, kicherte Gregor gegen seine Anspannung an, während Sando langsam die innere Tür aufschob.
    „Bleib in meiner Nähe!“, raunte er. „Du bist mein Rettungsanker, falls ich im Durcheinander der Seelen die Orientierung verliere.“ Sando trat ein. Gregor, ihm dicht auf den Fersen, zog die Tür hinter sich zu.
    Sando sah sich einer schweigenden Mauer Hunderter Augen gegenüber. Er hatte damit gerechnet, doch der Anblick wirkte auf ihn wie beim ersten Mal. Er spürte, wie sein Herz pochte, so laut, dass die stummen Wesen es hören mussten. Um seiner Beklommenheit Herr zu werden, machte er einen Schritt auf die Seelenwand zu, die wie auf ein unsichtbares Zeichen hin zurückwich.
    „Ich bin gekommen, um …“, krächzte er und die Stimme drohte ihm den Dienst zu versagen.
    Er räusperte sich.
    „Ich bin gekommen, um einen Gefangenen zu sprechen. Jussuf Mahmoud. Bitte, melden Sie sich.“
    Nichts geschah. Das Schweigen blieb ungebrochen.
    „Jussuf Mahmoud, hören Sie mich?“, versuchte es Sando erneut. „Sie haben mich gestern um Hilfe angefleht. Vielleicht gibt es eine geräumigere Zelle für Sie.“
    Auf diese Ankündigung hin schwenkten die Augen nach links und nach rechts, als wollten sie sich vergewissern, dass sich kein Teilchen aus der festgefügten Struktur löste.
    „Jussuf Mahmoud, ich habe hier einen Behälter. Ich könnte Sie sofort aus dieser Zelle befreien.“
    Das Augenschwenken wurde heftiger. Doch von einem Bröckeln der schweigenden Mauer konnte keine Rede sein.
    Gregor flüsterte von hinten: „Ich sehe zwar nichts, aber ich könnte mir vorstellen, dass einer Angst vor dem anderen hat.“
    „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“
    „Schau in die Gesichter! Du musst ihn finden und ihm befehlen, mit dir zu kommen.“
    „Wie soll ich hier jemanden herausfinden?!“, zischte Sando. „Es ist ausgeschlossen!“
    „Schon gut, war ja nur so ein Gedanke …“, beschwichtigte ihn Gregor. „Aber der Kerl ist doch ein Gotteskrieger. Vielleicht reagiert er auf eine Belohnung durch seinen Herrn?“
    Der Gedanke gefiel Sando. Jussuf hatte sich ja bei ihm beklagt, dass Gott ihn so hart bestrafte für seine „Heldentaten“.
    „Jussuf Mahmoud, dir gebührt der Lohn Allahs. Willst du ihn zurückweisen?“
    Wiederum wich die Seelenwand nicht. Tausende Blicke gingen hin und her. Doch etwas, eine Kleinigkeit, störte dieses Gleichmaß der Bewegung. Es war ein Augenpaar, das starr auf Sando gerichtet blieb.
    „Ich glaube, ich habe ihn“, flüsterte er Gregor zu. „Was soll ich machen?“
    „Sprich ihn an! Befiehl ihm, zu dir zu kommen!“
    Sando streckte den Zeigefinger vor.
    „Ich erkenne dich wieder, du bist Jussuf Mahmoud! Komm zu mir, im Namen Allahs!“
    Auf einmal waren alle Augen auf die bezeichnete Seele gerichtet. Allein deren Blick bewegte sich unstet durch den Raum. Doch sie rührte sich nicht von der Stelle. Machte keinerlei Anstalten, aus der Phalanx auszubrechen.
    Die Stille wirkte bedrohlich.
    Sando hielt Jussuf Mahmoud den geöffneten Kokonbehälter hin, trat einen Schritt auf ihn zu.
    Plötzlich brach das zirpende Chaos aus. Sando wurde überschwemmt von einer Woge Hunderter Seelen. Hasserfülltes Zirpen umkreiste seinen Kopf, wurde zum tosenden Geschrei.
    Schnell zurück zum Ausgang!
    Den Kokonbehälter fest in den Händen, trat er langsam den Rückzug an, dorthin, wo er Gregor und die Tür vermutete. Doch er stieß gegen eine Wand.
    Das Zirpen wurde höhnisch. Das Gewusel vor seinen Augen noch hektischer.
    „Gregor!“, brüllte Sando. „Wo bist du?“
    Er spürte eine Hand auf seiner Schulter.
    „Du musst doch nicht gleich so schreien, Sando.“
    Das war Gregors Stimme nahe an seinem Ohr, sonst hätte er ihn nicht hören können bei dem Lärm.
    „Führ mich hier raus!“, brüllte Sando. „Ich kann nichts sehen! Sie sind überall!“
    Wieder brandete höhnisches Zirpen auf. Gregor schob Sando vor sich her. Wenig später sagte er ihm ins Ohr: „Du stehst jetzt vor der Tür, Sando.“
    „Öffne sie! Nein – warte!“ Sando drehte sich um, sodass sein Gesicht dem Raum zugewandt war. Noch immer kreisten ihn die lärmenden Seelen ein, klatschten gegen die Kugel, die seinen Kopf

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