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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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ein paar Schniefern sagte sie: „Entschuldige, Sando, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Denise de Teynac. Ich bin Mitarbeiterin der Abteilung Empfang bei der Einwanderungsbehörde.“
    Ihr Körper straffte sich, ein kurzes Schütteln wie ein Hund, der sich das Fell nach einem Bad trocknet, dann stand sie auf und sagte feierlich: „Sando Wendelin, ich habe die Ehre, dir mitzuteilen, dass die Einwanderungsbehörde nach Sichtung deines Lebenslaufes mit großer Mehrheit beschlossen hat, dich in Katharsia aufzunehmen. Herzlich willkommen!“
    Sie setzte sich wieder und blickte Sando an, als erwarte sie eine überschäumende Reaktion angesichts eines wertvollen Geschenks. Sando war tatsächlich überrascht. Doch nicht wegen irgendeiner Ehre, die ihm gerade zuteil geworden war. „Was für ein Lebenslauf?“, fragte er. „Ich habe doch gar keinen Lebenslauf abgegeben.“
    „Oh doch!“, sagte Denise de Teynac. „Die Traumbilder, die jede Seele während des Überganges nach Katharsia sendet – wir können sie sehen, ja, sogar aufzeichnen.“
    „Oje!“, rutschte es Sando heraus und ihn beschlich ein ungutes Gefühl. „Dann wissen Sie ja alles über mich.“
    „Das müssen wir auch. Katharsia kann es sich nicht leisten, jeden hereinzulassen.“
    „Wer darf denn nicht hinein?“
    „Die schlechtesten Karten haben Menschen, die getötet haben – sei es aus Habgier, aus Eifersucht oder wegen eines vermeintlich höheren Ideals, gleich, ob sie es selbst getan oder andere dazu veranlasst haben.“
    Denise de Teynac hatte sich nun wieder völlig gefangen und ihr dozierender Tonfall wies darauf hin, dass sie diese Frage schon oft beantwortet haben musste.
    „Das klingt ja sehr schön“, sagte Sando ungläubig. „Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass das für alle gilt, ich meine, auch für Präsidenten, Generäle und Könige, die Menschen in Kriege geführt haben.“
    „Auch für die!“, erwiderte Denise und ihr mit Wimperntusche verschmiertes Gesicht stand im merkwürdigen Gegensatz zur Größe des Gedankens, den sie nun äußerte: „Ich kann dir den Grund sagen, warum gerade die Mächtigen nicht ungeschoren bleiben: Nach Katharsia kommen immer zuerst die Opfer. Über die Jahrhunderte haben sie es gelernt, sich mit ihrem Wissen um die Täter zusammenzuschließen. Das macht sie stark.“
    In die Stimme des süßen Engels trat wieder ein verdächtiges Beben, als sie erklärte: „Ja, Sando, das ist wohl die größte Errungenschaft: In Katharsia haben die Opfer das Sagen.“
    Wahnsinn , dachte der Junge, den die Ergriffenheit des süßen Engels anrührte. Diese Welt schien besser eingerichtet zu sein als die, von der er gekommen war. Und fast fühlte er sich geschmeichelt, dass sie ihn aufgenommen hatten – und zwar mit großer Mehrheit, wie Denise feierlich verkündet hatte.
    Er stutzte. Mit großer Mehrheit? Hieß das nicht, dass da auch jemand gegen ihn gestimmt hatte?
    „Frau de Teynac“, begann Sando, „es waren offenbar nicht alle dafür, dass ich in Katharsia aufgenommen werde. Warum?“
    Schweigen.
    Mit einem Mal wirkte sie anders, irgendwie nervös.
    „Sag Denise zu mir, Sando“, meinte sie ausweichend. „Das ist mir lieber, weißt du? Alle sagen nur Denise zu mir.“
    Sie trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte herum, hielt plötzlich inne, langte sich einen Schokokeks aus der Glasdose, warf ihn wieder hinein, ließ ihre Blicke im Raum umherwandern. Plötzlich aber sah sie Sando direkt ins Gesicht. „Willst du das wirklich wissen?“
    „Na ja … schon …“, antwortete Sando verunsichert.
    „Wozu soll das gut sein? Du bist jetzt hier – und das allein zählt.“
    Sando war durch ihr merkwürdiges Verhalten erst recht neugierig geworden. „Ich wüsste schon gern, warum jemand gegen mich gestimmt hat.“
    „Du hast es so gewollt …“ Denise nahm den Keks wieder aus der Dose, biss krachend zu und machte eine fahrige Handbewegung.
    Sando sah auf dem großen Wandmonitor einen Film im Schnellrücklauf. Es war der Mitschnitt seiner Traumbilder aus dem schwarzen Tunnel. Er erkannte Maria. Sie lag auf dem Boden, Blut floss in ihre Wunde hinein, plötzlich richtete sie sich auf, alles Blut war wieder in ihrem Körper, eine Kugel kroch aus der Haut heraus, die Wunde heilte in Windeseile, während die Kugel auf den Revolver zuflog und in dessen Lauf verschwand.
    Sando starrte wie gebannt auf den Schirm. Dass er diese Szene, die er tief in seinem Innersten vergraben wollte, am

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