Katharsia (German Edition)

stellte sich heraus, dass ein mannshohes Gestell den Vorhang lupfte. Sando sprang ab und zog die Öffnung so breit, dass Mike die MATMAN hindurchbugsieren konnte. Dann versuchte er, das Gestell zur Seite zu zerren, um die Schleuse wieder abzudichten.
    „Was machst du da? Komm, wir müssen weiter!“, schrie Mike und ließ den Motor ungeduldig aufheulen.
    „Hilf mir lieber, den Vorhang zu schließen!“, brüllte Sando zurück. „Wir müssen verhindern, dass Wolfenhagens Seelenformationen in die Festung gelangen!“
    Augenblicklich war Lemming zur Stelle. Wenn es gegen den Grafen ging, war er zu allem bereit. Gemeinsam wuchteten sie das Gerüst beiseite, sodass der Vorhang frei bis zum Boden fiel.
    Während sie wieder zum Motorrad liefen, das satt vor sich hin tuckerte, fiel ihnen das Heulen der Hadessirene auf. Es war schon sehr nahe gekommen. Und als sie den zweiten Vorhang dieser Schleuse passierten, dröhnte ihnen das Alarmsignal kräftig entgegen. Sie hatten den alten Zellentrakt erreicht. In wortlosem Einvernehmen machten sie sich daran, das Gestell unter dem Vorhang zu entfernen, das auch hier die Schleuse ihrer Wirkung beraubt hatte.
    Kaum hatten sie es geschafft, bemerkte Sando eine Seele. Das erste Wesen, dem sie hier unten begegneten. Die Seele stand ihm vor Augen und schaute ihn unverwandt an. Eine zweite wuselte um Mike Lemming herum. Sando, um etwas Abstand zu dem aufdringlichen Geist bemüht, wich zurück und stolperte. Im Dämmerlicht der Notbeleuchtung hatte er nicht bemerkt, dass dicht am Vorhang ein lebloser Körper am Boden lag. Es war ein Wachmann des Hades, der in einem Schutzanzug steckte.
    „Mike!“, rief Sando warnend, während er sich wieder aufrappelte.
    „Was ist los?“, kam es ungeduldig zurück.
    Mike saß bereits wieder abfahrbereit auf seiner MATMAN. Und dann ging alles rasend schnell: Ein gleißendes rotes Lichtbündel blitzte auf und traf auf die Windschutzscheibe seiner Maschine. Die Echsenhaut warf den Laserstrahl zurück, zerfasert in viele Einzelstrahlen, die auf die umliegenden Zellenwände aus Kokon trafen. Das sensible Material schmorte an den betroffenen Stellen augenblicklich durch.
    Sando sah entsetzt, wie Seelen aus den Brandlöchern quollen, ungeordnet, verwirrt, keine Spur einer Formation – und er begriff: Die Zellen hier gehörten nicht zu Wolfenhagens Einflussbereich. Die eben freigekommenen Seelen hatten keine Ahnung von den Vorgängen im Hades.
    Mike Lemming hatte sich unterdessen vom Motorrad weggehechtet und sich flach, mit der Waffe im Anschlag, auf den Boden gelegt. „Was ist hier los, verdammt?“, schrie er.
    Um ihn herum wuselte die Seele, die schon vor dem Laserangriff bei ihm war, als suche sie nach einer Möglichkeit, in den Schutzanzug einzudringen. Sando sah sich in der gleichen Weise belästigt.
    „Bleib liegen, Mike! Ich versuche es herauszufinden!“, brüllte er gegen das Sirenengeheul an und robbte unter dem Kokonvorhang durch. Dabei gab er der aufdringlichen Seele die Gelegenheit, mit ihm in die Schleuse zu schlüpfen.
    Hier war es deutlich leiser.
    Das durchscheinende Wesen rückte ihm nun entschieden zu nah auf die Pelle. Er verscheuchte es mit einer Handbewegung und fragte ungehalten: „Was willst du von mir?“
    Die Seele, erstaunt darüber, direkt angesprochen zu werden, bewahrte nun respektvolle Distanz.
    „Wir kontrollieren den Hades“, zirpte sie. „Und wer sich unserer Beeinflussung entzieht, der wird vernichtet.“
    Sando erinnerte sich: Doktor Fasin hatte eine Spezialeinheit von Seelen ausgebildet, die die Wachmannschaften des Hades manipulieren und seinen Zielen unterwerfen sollte. Die Seele vor ihm musste dazugehören.
    „Wir kommen von Doktor Fasin“, sagte Sando.
    Die Seele blickte skeptisch drein. „Und warum tragt ihr dann Schutzanzüge?“
    „Warum sollten wir nicht? Doktor Fasin höchstpersönlich hat sie uns empfohlen.“
    „Das kann nicht sein. Im Schutzanzug können wir euch nicht kontrollieren. Damit seid ihr eine Gefahr für die Ordnung, die wir hier unten im Auftrag des Doktors aufrechterhalten.“
    „Aber er hat uns hergeschickt!“, beharrte Sando.
    „Und wozu, wenn ich fragen darf?“
    „Wir sollen das Sirenengeheul abstellen. Es ist bis nach draußen zu hören und könnte die Gegner Doktor Fasins herbeirufen.“
    Die Seele blieb misstrauisch. „Vielleicht ist es so, wie du sagst, Junge. Es könnte aber auch eine Lüge sein. Woher soll ich das wissen? Ich brauche einen Beweis.“
    „Wie soll ich es