Katharsia (German Edition)
Grafen zu arbeiten“, meldete der Schwertträger forsch. „Angeblich ist er sein … Abisor …“
„Auvisor“, berichtigte ihn Sando.
Der Kreuzfahrer sah ihn ungnädig an und fragte die Wache: „Wollt ihr ihn dem Grafen erst melden oder sollen wir ihn gleich in Stücke hauen?“
Er lachte wie über einen guten Witz.
„Warte! Gestorben ist schnell“, kam es zurück. „Ich sage dem Grafen Bescheid. Wie hieß das noch mal? Abisor?“
„Au … vi … sor“, buchstabierte Sando.
„Aha, Auvisor“, wiederholte der Zivilist korrekt und verschwand hinter der Tür.
Kurz darauf kam er zurück.
„Der Graf lässt bitten“, sagte er mit einem vielsagenden Blick auf den bärtigen Schwertträger, woraufhin der seinem Kameraden mit dem Sauggerät zumurmelte: „Da können wir wohl von Glück reden, dass wir das Bürschchen unversehrt hier abgeliefert haben …“
Sando löste sich von seiner Eskorte und folgte Lemming, der schon in den Spiegelsaal vorausgeschwebt war. Mit weichen Knien trat er in das Licht, das, von den glitzernden Kristallen des Kronleuchters millionenfach gebrochen, den Raum erfüllte. Er hörte die Tür hinter sich ins Schloss fallen und Stimmengemurmel, das auf das Geräusch hin plötzlich abbrach. Es dauerte einen Moment, bis es ihm gelang, in der Reizüberflutung dieses prachtvollen barocken Ambientes die Situation zu erfassen: Der Schreibtisch Doktor Fasins, der sich in der Mitte des Saales befunden hatte, war verschwunden. Seine Stelle nahm eine lange, reich gedeckte Tafel ein: weißes, geschwungenes Porzellangeschirr und Kelche aus geschliffenem Kristall auf weinrotem Tuch. Hohe Lehnstühle, in gleichem Weinrot gepolstert, umstanden den Tisch auf drei Seiten. Sando stand an der offenen Seite und blickte in die Gesichter der Gestalten, die auf den Lehnstühlen Platz genommen hatten. Der Auffälligste von ihnen, gekleidet in leuchtendes Gelb und Rot, die Farben seiner Familie: Graf von Wolfenhagen. In der Tiefe des Raumes, am schmalen Ende der Tafel sitzend, spielte er offenbar die Rolle des Gastgebers. Er schaute Sando spöttisch an, sagte aber nichts, als wollte er ihn auf die Folter spannen. Rechts neben ihm saß Doktor Fasin. Sein Gesicht wirkte merkwürdig abgezehrt. Keine Spur von Hochmut lag in seinem Blick, mit dem er Sando bedachte. Im Gegenteil. Der Junge glaubte, einen Anflug von Dankbarkeit über sein Erscheinen, ja, sogar Hoffnung darin zu lesen. Den Platz links des Grafen hatte Maria inne. Sando fiel ein Stein vom Herzen, als er sie unversehrt vor sich sah. Verstört schaute sie ihn an. Sicher wusste sie von dem Blutbad, das die Leute des Grafen in der Festung angerichtet hatten. Doch obwohl sie ihn ansah, hatte Sando das Gefühl, dass sie ihn nicht wahrnahm. Es schmerzte ihn. War sie ihm gegenüber wirklich so gleichgültig, wie sie tat? Zu gern hätte er gewusst, was in ihr vorging, wenn sie sich begegneten. Dass ausgerechnet sie neben Wolfenhagen saß, beunruhigte den Jungen, denn in den Augen des Grafen nistete unverhohlene Begierde. Nachbar Marias um die Ecke des Tisches herum war der Unternehmer Djamal al Din, ihr Lebensgefährte.
Er zählt also schon nicht mehr zum „Präsidium“ , stellte Sando schadenfroh fest.
Aus der gekrümmten Haltung des Unternehmers sprach Unterwürfigkeit, hinter der er seine Eifersucht und seinen Hass verbarg. Neben ihm, an der langen Seite der Tafel, saß der Chef der „Makala Press“ Karim Bin Dschamal. Nachdem er das Erscheinen Sandos mit einem kurzen Blick registriert hatte, hing er nun mit den Augen an den Lippen des Grafen, bereit zu notieren, was dieser von sich geben würde.
Schleimscheißer , dachte Sando und ließ seine Augen weiter wandern. Da waren Ben und Denise! Die Mordbrenner des Grafen hatten auch sie verschont! Sando sah ihnen an, dass sie am liebsten aufgesprungen und ihm entgegengeeilt wären, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Hinter der versteckten Freude, ihn wiederzusehen, sprachen aus ihren Gesichtern Fassungslosigkeit und Entsetzen. In ähnlichem Zustand befand sich Djamila. Mit eingezogenem Kopf saß sie auf der gegenüberliegenden Seite der Tafel neben Doktor Fasin und starrte leeren Blickes auf die Tischplatte. Die Nähe zu ihrem alten Peiniger Wolfenhagen schien ihr körperliche Schmerzen zu bereiten. Ihr Nachbar zur Rechten war der dickbäuchige Pepe, die rechte Hand des Grafen und Chef seiner Leibwache. Er machte kein Hehl daraus, dass er sich pudelwohl fühlte neben der schönen Djamila, die einst
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