Katharsia (German Edition)
Seine Einheit hatte endlich die Festung erobert.
DER ABSCHIED
Sando hätte jubeln mögen, doch ihm fehlte die Kraft dazu. Stumm stand er da und empfand eine unendliche Erleichterung. Es war vorbei! Endlich! Die unerträgliche Anspannung, geboren aus nackter Todesangst, wich einem Gefühl wohliger Schwäche. Seine Knie fühlten sich an wie Watte. Sie wollten nachgeben, doch er ließ es nicht zu. Er hatte genug von dem blutigen Matsch, durch den er gekrochen war. Gierig sog er auf, was um ihn herum geschah. Er sah, wie die Männer des Generals Assadi, sich nach allen Seiten sichernd, das Schlachtfeld besetzten, das einmal ein Barocksaal gewesen war. Durch die gesichtslosen schwarzen Helme wirkten sie wie gefühllose Käfer. Scheinbar unbeeindruckt machten sie sich über das Terrain her, suchten nach Überlebenden, sammelten Waffen ein. Er sah, wie Wolfenhagen nach dem vergeblichen Versuch, sich mit dem Dolch zu wehren, von Schwerbewaffneten in der grün-rot gefleckten Montur der Gefahrenabwehr überwältigt und gefesselt wurde. Noch wenige Augenblicke zuvor war es für Sando undenkbar gewesen, dass er den Dämon einmal so sehen würde: als Gefangenen!
Dessen Augen blitzten vor Zorn, als er Sandos ansichtig wurde. Der Junge erwiderte den Blick, diesmal frei von Angst, bis eine andere Szene seine Aufmerksamkeit erregte: Sanitäter bemühten sich um den kleinen Engel, der wieder zu sich gekommen war. Sando ging das Herz auf, als Denise unbeholfen mit den Flügeln flatterte und verschleierten Blickes die Helfer betrachtete, als stammten sie von einem anderen Stern. Die Männer sprachen sie freundlich an, hievten sie auf eine Trage und brachten sie hinaus.
Sando sah, wie Achmed, der General, auf Ben zuging. Beide waren gezeichnet von den Strapazen der letzten Stunden. Gesicht und Felduniform des Militärs trugen einen ziegelroten Schleier aus Wüstenstaub. Rinnender Schweiß hatte Streifen auf Stirn und Wangen hinterlassen. Bens Kleidung war über und über mit Blut verschmiert. In der Hand hielt er noch immer das Schwert, mit dem er Wolfenhagen hatte den Garaus machen wollen. Zögernd standen sie einander gegenüber, Assadi, der lange Zeit den Seelenrettern in die Hände gespielt hatte, und Ben, der leidenschaftliche Gegner dieser Geheimorganisation.
Und endlich polterte das Schwert zu Boden. Sie fielen sich in die Arme, hielten einander fest, einer den Kopf auf der Schulter des anderen. Sie schauten sich nicht in die Augen, um den feuchten Glanz darin voreinander zu verbergen. Erst als die Tränen getrocknet waren, lösten sie sich wieder aus der Umarmung, beugten sich gemeinsam über den leblos am Boden liegenden Gregor, den Dritten in ihrem Bunde.
Und Maria? Wo war Maria? Nun hielt es Sando nicht mehr auf seinem Beobachtungsposten. Er musste nach ihr suchen! Das letzte Mal hatte er sie vor dem großen Massaker gesehen, als sie mit Djamila den Saal verließ. Vielleicht war General Assadi den Frauen bei der Befreiung der Festung begegnet? Er wollte ihn fragen.
Achmed, mit Ben bei Gregor hockend, blickte auf, als Sando herantrat.
„Hallo, Sando! Schön, dich gesund wiederzusehen!“, begrüßte er ihn freundlich – und mit dem Blick eines erfahrenen Soldaten setzte er hinzu: „Die Verletzung an deinem Kopf scheint ja nichts Ernstes zu sein.“
„Es ist nur ein Streifschuss, Herr General.“
„Du solltest die Wunde aber bald versorgen lassen. Man weiß ja nie …“
Sando nickte nur. Im Moment interessierte ihn der kleine Kratzer herzlich wenig.
„Herr General …“, setzte er an.
„Du willst wissen, ob mir Djamila und Maria in den Gängen der Festung untergekommen sind, nicht wahr?“, kam Achmed ihm zuvor. „Das hat mich Ben auch schon gefragt.“
„Das war natürlich das erste, was mich interessiert hat“, sagte Ben strahlend. Er hatte offenbar gute Nachrichten erhalten.
„Und?“, fragte Sando gespannt.
„Ich kann dich beruhigen, Junge“, erklärte Achmed. „Die beiden leben. Meine Leute haben sie aus einer Kammer befreit, in der sie eingesperrt waren.“
Sando atmete auf.
Die Gewissheit, dass Maria lebte, ließ sein Herz höher schlagen. Er brannte darauf, sie zu treffen.
„Dann werde ich mal sehen, ob ich sie finden kann“, sagte er. „Kommst du mit, Ben?“
Ben schüttelte den Kopf. „Wir sollten lieber hier auf sie warten. In dem Labyrinth dort draußen laufen wir zu leicht aneinander vorbei.“
Während Sando noch schwankte, ob er bei seinen Gefährten bleiben oder allein
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