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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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geistesgegenwärtig den Sauger, der neben ihm stand, und eilte seinem Freund nach, um ihn notdürftig abzuschirmen. Misstrauisch beäugten die Seelen die Aktion, machten aber keine Anstalten, einzugreifen. Offenbar ahnten sie nicht, was Ben mit dem Beil bezweckte, und keine schien es darauf anlegen zu wollen, in Gregors Sauger zu landen, wo doch frisches Retamin verheißungsvoll durch den Raum waberte. Immer wieder wanderten ihre Blicke von dem voranstürmenden Ben weg hin zu dem weißen Nebel. Solange ihr Gebieter als Embryo in dem Kreisel steckte, unfähig, das Zeichen zum Angriff zu geben, hatte Ben nichts zu befürchten. Doch sein Weg zum Monitor war gespickt mit Hindernissen: Kriegerleichen, sperrigen Waffen und schmierigem Blut. Ben stolperte, fiel auf einen toten Kämpfer. Gregor, der ihm dicht gefolgt war, stürzte über ihn. Sie rappelten sich wieder auf. Aber der Dämon war bereits geboren. Sando, mit dem Rücken am Boden liegend, stöhnte auf, denn Wolfenhagen hatte ihm einen seiner gelben Stiefel auf die Brust gesetzt. Aufrecht stand der Graf im Retaminqualm, der unablässig aus dem Hemd des Jungen hervorbrach, wedelte ihn zur Seite und hielt Ausschau. Der Feldherr des Todes verschaffte sich einen Überblick über die Lage.
    „Haltet sie auf!“, brüllte er, als er Ben und Gregor erblickte.
    Sando, in Erwartung eines präzisen und unbarmherzigen Vorstoßes der Seelenformation, bemerkte mit Erstaunen, dass die Meute ihrem Herrn nur widerwillig gehorchte. In respektvollem Abstand zum Sauger umkreiste sie die beiden Voranstürmenden. Offenbar wollte keine der Seelen die erste sein, die sich in Gefahr begab.
    Wolfenhagen, unfähig, seine Geister zu sehen, erwartete ungeduldig den Angriff. Als nichts geschah, brüllte er zornig: „Wollt ihr euch meinem Befehl widersetzen?!“
    Das wirkte. Sando stieß einen Warnruf aus, als die Seelen zum Angriff ansetzten. Ben und Gregor duckten sich und brachten den Sauger über ihren Köpfen in Stellung. Die ersten Angreifer verschwanden im Rohr. Doch der Kokonbehälter in dem Gerät würde sie nicht alle aufnehmen können.
    Sando rief verzweifelt: „Ben, wirf das B…!“
    Sein Schrei erstickte unter der Hand Wolfenhagens. Gleichzeitig verstärkte sich der Stiefeldruck auf seinem Brustkorb. Sando ächzte. Der Kopf des Grafen verschwand im Qualm, der Sandos Brust entwich.
    „Du dampfst wie ein erhitzter Stier. Mir scheint, du hast bei deinem Ausflug nicht nur die Hadessirene abgeschaltet, sondern auch den Key gestohlen. Gib ihn mir! Sofort!“
    So sehr sich Sando auch sträubte, es half nichts. Kurzerhand fasste Wolfenhagen nach der Kette und riss sie mit einem Ruck ab. Der Junge spürte, wie das erhitzte Medaillon unter seinem Hemd hervorgezogen wurde. Triumphierend ließ nun der Graf den nebelnden Schmuck kreiseln. Plötzlich gab es einen dumpfen Knall, dann ein Splittern. Der zerstörte Monitor setzte seinem Triumph ein Ende. Die Sirene war verstummt. Der Hühnergott hörte allmählich auf zu qualmen. Wolfenhagen tobte. Wutschnaubend befahl er seinen Seelen, den Angriff auf Ben und Gregor so lange fortzusetzen, bis sie den vermaledeiten Sauger überwunden hätten. Doch die Seelen zogen sich aus der Gefahrenzone zurück, verweigerten ihrem Gebieter den Gehorsam. Es war ihnen nicht entgangen, dass die Retaminquelle versiegt war. Nun schielten sie, sich gegenseitig belauernd, auf die Nebelschwaden, die noch durch den Saal zogen, und jede schien darauf zu hoffen, eine ausreichende Menge des begehrten Lebensstoffs für sich ergattern zu können. Alle Drohungen ihres Anführers fruchteten nichts. Der schäumte, schrie ein ums andere Mal: „Angriff!“
    Seine Stimme war bereits heiser, als sich die erste Seele entschloss, auf eigene Rechnung zu handeln. Gierig stürzte sie sich auf die Retaminwolke.
    Nun gab es auch für die anderen kein Halten mehr. Offenen Mundes beobachtete Sando, wie der Nebel unter der Decke in Hunderte Kreisel zerfaserte, kleine, mickrige Kreiselchen, die meist nur für einen Arm, einen Finger, einen Kopf oder bestenfalls für einen halben Rumpf reichten.
    Die Folgen waren grotesk. Die gewichtslosen Seelen, unlösbar verbunden mit ihrem materialisierten Teil, wurden zu Boden gezogen vom Ballast der eigenen Glieder und flatterten daran wie Fähnchen im Wind. Es war bizarr anzuschauen, wie ein Finger, ein Fuß, ein Ohr oder eine Nase zum unverrückbaren Anker wurde, an dem der Rest einer Seele zappelte. Es brauchte nur einige Sekunden und die

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