Katharsia (German Edition)
ist mir auch gekommen, als ich dich zum ersten Mal gehört habe. Aber Schlangen bändigen mit dem Klavier?“
Er deckte das Tuch über das alte Möbel, stellte schweren Herzens den Krempel wieder darauf, ließ sich erschöpft auf dem Stuhl nieder und sah Gregor zu, wie er im Schein der Lampe das Loch im Kokon begutachtete.
„Es ist wirklich nicht der Rede wert“, meinte er schließlich. „Vielleicht solltest du zur Sicherheit gleich hineinschlüpfen, Ben. Ein Engel über diesem Schuppen könnte dich auch durch das Dach orten, so ungeschützt, wie du jetzt bist.“
„Sag ihm, er soll den Kokon aufhalten, Sando“, zirpte Ben daraufhin.
Sando tat, wie ihm geheißen, woraufhin Gregor die Hülle öffnete wie einen zu füllenden Sack. Ben ließ sich so hineingleiten, dass er mit dem Kopf oben herausschaute.
„Ist er drin?“, fragte Gregor.
Sando bejahte.
Gregor stand unbeholfen da. „Und jetzt?“
„Leg das Ding einfach auf den Tisch, dann kann es sich Ben bequem machen wie in einem Schlafsack.“
Gesagt, getan.
Der Kokon auf dem Tisch machte den Eindruck, als wäre er ein wenig mit Luft gefüllt. Nur Sando konnte sehen, dass eine Seele darin steckte.
„Wo nur Denise und Nabil bleiben?“, fragte Gregor. „So viele Taschen sind doch gar nicht auf Lager.“
„Denise kann sich bestimmt nicht entscheiden“, entgegnete Sando.
Gregor schaute unruhig zur Tür. Sando bemerkte den Blick. Diese Augen zogen ihn immer wieder in ihren Bann.
Sie sind so schwarz und tief , dachte er, vielleicht ist es noch immer der Schatten des Grafen, der in ihnen liegt: Wolfenhagen, der Dämon.
Eine Frage brannte Sando auf der Seele. Sollte er sie jetzt stellen? „Du, Gregor …“, begann er zaghaft, „damals in Jerusalem … ich meine … Bens letzter Tag … du warst doch dabei …“
Das Universum in Gregors Augen schien sich zu weiten. „Was möchtest du wissen?“
„Haben Bens Mutter und Vater … wie soll ich sagen … von ihm …“ Sando brachte die Frage nicht über seine Lippen.
„Du meinst, ob sie an Wolfenhagens Mahl teilgenommen
haben?“
„Ja, das meine ich.“
Gregor atmete tief, blickte zu Boden und schwieg.
„Vielleicht denkst du jetzt, es geht mich nichts an“, begann Sando wieder, „aber Ben hat mich hineingezogen in seine Geschichte. Verstehst du? Achmeds Tod, das Blutbad in Jerusalem – ich habe alles miterlebt bis zum bitteren Ende.“
Gregor hob wieder den Blick. Sando hatte das Gefühl, sich in den dunklen Weiten seiner Augen zu verlieren.
„Gut, dass du fragst, Sando“, zirpte nun Ben in seiner Kokontasche. „Ich habe es nie getan … aus Furcht vor der Antwort.“
„Ben möchte es auch wissen“, übersetzte Sando frei. Gregor nickte stumm und brauchte einige Zeit, um sich zu sammeln. „Also …“, begann er zögernd. „Als Ben hinaus auf den Hof geführt wurde, habe ich ihm nachgerufen, er möge fliehen. Wir beide wussten ja, was von Wolfenhagen zu erwarten war. Aber Bens Eltern und Djamila haben mich vorwurfsvoll angeschaut, weil ich dich zur Flucht hinaus in die Bluthölle aufgefordert habe. Sie hielten es für Wahnsinn, das Haus zu verlassen.“
„Und dann?“
„Na ja, auf meinen Ruf hin hat mich der Graf sofort aus dem Raum entfernen lassen.“
„Du hast also nicht teilgenommen an dem Mahl?“
„Nein.“
„Und hast du Bens Mutter und Vater noch warnen können?“
„Ich habe es versucht, aber sie haben mir die Flöte in den Mund gestopft, dass es mir unmöglich war, etwas Verständliches von mir zu geben.“
„Weißt du, was mit Bens Eltern und Djamila geschehen ist?“
Gregor schien es schwerzufallen, darüber zu sprechen. Er schloss die Augen, sammelte sich einen Augenblick und sagte dann leise: „Als Wolfenhagens Bande nach dem Mahl die vielen Kostbarkeiten hinausschaffte, bin ich noch einmal oben gewesen. Ich habe die beiden gesehen, Bens Mutter und Vater. Wie ein Liebespaar saßen sie da, aneinandergelehnt. Ihre Kehlen waren aufgeschlitzt und zwischen die Zähne hatten ihnen die Mörder gebratene Fleischbrocken geschoben.“
Sando hörte Ben leise schluchzen, während Gregor sagte: „Ich bin mir sicher, Ben, sie haben die Wahrheit geahnt und nichts gegessen. Sie haben es vorgezogen, zu sterben.“
Im dunklen Kosmos seiner Augen glühte ein Funke.
„Und Djamila?“, fragte Sando mit belegter Stimme.
„Wolfenhagen hat Djamila mitgenommen ... Sie lebte in seinem Zelt und durfte es nie verlassen. Ich diente der Bande als Narr mit der Flöte
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