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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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mischte sich nun Gregors leise, angenehme Stimme: „Na ja, die Schlangennummer auf dem Basar läuft ganz gut. Ich glaube, die Leute mögen mich. Und seit Nabil dabei ist, kommt auch einiges Geld herein. Ich komme schon klar. Freilich, im Gegensatz zu dir und Achmed bin ich ein kleines Licht, habe es zu nichts gebracht.“
    Die Schere klapperte allein weiter.
    „Achmed?“, fragte Sando. „Was ist denn aus ihm geworden?“
    Bens Gesicht verzog sich schmerzlich. Er schüttelte den Kopf und schwieg.
    Gregor sagte ahnungslos: „Er hat es zum General gebracht, ist Chef der Gefahrenabwehr von Makala.“
    Sandos Augen weiteten sich. „Achmed Assadi ist euer alter Freund aus Jerusalem?“
    Jetzt erst begriff er die Tragweite dessen, was im Hochhaus der Gefahrenabwehr geschehen war: Es war Bens ältester Gefährte, der ihm die Hilfe verweigert hatte. Schlimmer noch: Achmed hatte zugelassen, dass er den KORE-Leuten direkt in die Arme lief.
    Sando spürte einen Stich im Herzen. Ben hatte sich abgewandt. Offenbar sollte Sando seine Augen nicht sehen. Und auch Gregor wirkte auf einmal sehr in sich gekehrt.
    Bedrückt wanderte Sando durch den Lagerraum. Er schwieg, weil er die beiden nicht mit weiteren Fragen quälen wollte. Im trüben Licht der Lampe, die über dem Tisch von der Decke baumelte, fiel ihm ein merkwürdig geformtes Möbel auf. Es stand zwischen den Regalen an der Wand, bedeckt mit einem schmuddeligen Tuch, und alles, was es an Ablagefläche bot, war vollgestellt mit altem Krempel.
    Sando trat näher. War das etwa ein Klavier? Mit klopfendem Herzen räumte er den Ramsch beiseite, lüpfte das Tuch und seine Vermutung bestätigte sich. Vorsichtig öffnete er die Klappe. Die ehemals weißen Tasten waren vergilbt und in erbarmungswürdigem Zustand.
    Er schlug eine Taste an. Ein Ton zerriss die Stille. Die Saiten waren verstimmt, aber Sando störte es nicht.
    „Es steht schon lange hier“, ließ sich Gregor vernehmen. „Nabil hat sich seiner erbarmt, obwohl er wusste, dass er es nicht wieder loswird. Wer spielt denn heutzutage schon auf so einem Ding?“
    Sando nahm sich einen Stuhl, setzte sich und begann vorsichtig, eine Etüde zu spielen. Wussten seine Finger noch, was zu tun war? Das Stück war leicht und Sando spürte, wie die Kraft der Erinnerung seine Hände führte. Er fasste Mut, schlug die Tasten stärker an. Was machte es, dass das Instrument klang wie in einer Dorfkneipe, wenn er nur spielen konnte.
    Gregor kam an seine Seite. Er legte den herausgetrennten Kokon auf das Klavier und lauschte stumm. Als das Stück zu Ende war sagte er: „Du hast es gelernt, wie?“
    „Einige Jahre … seit ich fünf war …“
    Und plötzlich war alles wieder da. Sein erstes Leben: seine Eltern, die ewigen Aufenthalte im Krankenhaus wegen seiner gespaltenen Lippe, die Hänseleien von Mike Lemming – und vor allem Maria, die ihn das Klavierspielen gelehrt hatte, die sein Innerstes kannte, weil sie zuhören konnte wie kein anderer. Wärme durchströmte seine Brust. Er spürte das Medaillon mit dem Bildnis der Sixtinischen Madonna auf seiner Haut, nahm es heraus und zeigte es Gregor.
    „So musst du sie dir vorstellen.“
    „Wen?“
    „Maria, meine Klavierlehrerin.“
    „Eine Heilige.“
    „Das vielleicht nicht, aber sie war schön … und sie hat … und ich habe …“
    Sando stockte verwirrt.
    Sie war schön, hatte er gesagt, als wäre Maria für immer verloren. Aber er hatte sie doch gesehen, auf dem Basar, er wusste doch, wo sie zu finden war.
    In diesem Moment nahm er sich fest vor, um sie zu kämpfen. Sie musste sich wieder an ihn erinnern!
    Er legte die Hände auf die Tasten und seine Finger begannen wie von selbst, Chopin zu spielen, das Stück, das er am meisten liebte. Die Gelenke waren freilich noch etwas steif und die alten Tasten reagierten reichlich träge. Dennoch erfüllte ihn die Musik mit Zuversicht. Er sah Bens Seele, die über dem Klavier schwebte und staunend den wilden Tanz seiner Finger beobachtete. Auch Gregors Blick verriet Ehrfurcht.
    Nachdem er mit einigem Holpern das schwierige Finale bewältigt hatte, zirpte Ben begeistert: „Das möchte ich mal auf einem richtigen Flügel hören.“
    „Und ich möchte mal wieder in Ruhe üben können“, erwiderte Sando. Er schloss die Klappe des Instrumentes, was einige Saiten in Schwingung versetzte.
    Gregor lauschte ihnen nach und sagte versonnen: „Wir sollten gemeinsam musizieren … auf dem Basar.“
    Sando lächelte. „Komisch. Der Gedanke

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