Katharsia (German Edition)
„Wie geht es dir … hier in Katharsia?“
„Du fragst, wie es mir geht? Willst du das wirklich wissen, Hasenscharte? Es geht mir blendend! Mutter und Vater bin ich endlich los, dafür weckt mich jede Nacht der paradiesische Traum von Schlingpflanzen, die mich kosend umarmen, während meine Freunde am Ufer des Schwarzen Sees begeistert Beifall klatschen. Es geht mir wirklich blendend. Besser könnte es gar nicht sein.“
„Es tut mir leid, Mike.“
„Zu spät, Hasenscharte! Komm näher!“
Nabil rührte sich, machte eine warnende Geste.
Mike Lemming lachte. „Keine Angst, ich tu dir nichts, Hasenscharte! Nur einen Schritt, damit ich dich besser sehen kann.“
Zögernd tat ihm Sando den Gefallen.
„Sieh mal einer an! Ein makelloses Antlitz, schön wie ein Prinz. Beneidenswert, einer wie du profitiert sogar vom Tod.“
Erst jetzt fiel Sando auf, dass er Mikes Gesicht noch nicht gesehen hatte. Hielt er es unter dem schwarz getönten Glas versteckt?
„Und was ist mit dir?“, fragte er.
Wieder ein bitteres Lachen. „Mein Helm ist mein Gesicht, Hasenscharte.“
„Wie meinst du das?“
Lemming überging diese Frage und sagte: „Wer hätte gedacht, dass wir uns so bald im Jenseits wiedertreffen würden. Wie kam es denn? Welcher Geniestreich hat dich das Leben gekostet?“
Sando hatte nicht vor, mit Mike Lemming über die Terroristen im Bus zu sprechen, und schwieg.
Schließlich wurde ihm die Sache zu dumm und er wandte sich zum Gehen. „Also dann, Mike, wenn du mir weiter nichts zu sagen hast …“
„Geh nur, Hasenscharte“, rief ihm Mike nach. „Du solltest nur wissen, dass ich da bin. Immer. Und ich werde dich im Auge behalten, verlass dich drauf!“
Er startete seine Maschine und fuhr mit laut aufheulendem Motor davon.
„Was war denn das für ein Spinner?“, brummte Nabil.
Sando winkte ab. „Komm, fahren wir!“
Dennoch hatte er kein gutes Gefühl. Diese vagen Andeutungen von Kräften, die sich sammelten, beunruhigten ihn. Er wusste, dass Lemming mit einer Clique im Rücken zur echten Plage werden konnte.
„Na? Ist er weg?“, fragte Massef, als Sando und Nabil ins Auto stiegen.
„Ja. Vorerst haben wir nichts zu befürchten“, sagte Sando.
„Was heißt hier vorerst ?!“, brauste Denise auf.
Sando nahm beruhigend ihre Hände in die seinen.
„Darüber können wir später reden, Denise. Lasst uns erst einmal fahren.“
MASSEF
Massefs Haus lag außerhalb der Stadtmauer. Unbehelligt passierten sie das Tor von Makala, zu dieser Abendstunde sogar ohne Stau. Nach einigen Kilometern gelangten sie an ein Grundstück auf einer kleinen Anhöhe. Massefs Haus, ein neuartiges Bauwerk mit viel Stahl und Glas, stand im Schutze von Palmen auf dem höchsten Punkt eines Hügels. Als die Flüchtenden zermürbt aus dem Auto stiegen, kamen sie nicht umhin, den Ausblick auf das Lichtermeer von Makala zu bestaunen. Geräuschvoll sogen sie die Nachtluft ein und genossen das friedliche Bild.
„Eine Traumlage“, sagte Massef. „Doch alles hat seine Schattenseite.“
„Was für eine Schattenseite?“, wollte Denise wissen, die sich am fernen Makala nicht sattsehen konnte.
„Kommen Sie rein, ich zeige Ihnen, was ich meine.“
Massef öffnete die Tür und führte sie durchs Haus, bis er schließlich vor einer großen Glasfront stehen blieb. Außen war eine großzügige Terrasse sichtbar.
„Wir sind jetzt an der Rückseite des Hauses. Von hier aus ist bei Tage das Atlasgebirge zu sehen. Ebenfalls ein sehr schöner Anblick, ich versichere es Ihnen. Aber diese vielen Lichter nicht weit von hier, wissen Sie, was das ist?“
Er erntete allgemeines Achselzucken.
„Das ist eine Großbaustelle. Dort wird Tag und Nacht gearbeitet.“ Er schob die Glasfront einen Spalt auf und Lärm erfüllte das Haus.
„Als ich hierher zog, hieß es, diese Landschaft sei geschützt. Jetzt entsteht dort ein Vergnügungspark. Es wird also immer so weitergehen mit dem Lärm.“
Sando erinnerte sich. An dieser Baustelle waren sie mit Stadlmeyrs Schwebemobil vorbeigekommen. Kilometerweit hatten sie in der Staubfahne der Kipper fahren müssen.
„Die Bürger sind Sturm gelaufen gegen dieses Projekt“, sagte Nabil finster, „aber die Stadtverwaltung hat den Bau genehmigt. Wer weiß, was Jamal al Din den Beamten dafür zugesteckt hat.“
„Jamal al Din?“
Sando hatte den Namen nicht vergessen. „Ist das der Jamal al Din, bei dem Maria wohnt?“
Massef nickte. „Genau der.“
Er musterte Sando aufmerksam. Es
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