Katharsia (German Edition)
den, dass seine Freunde unbehelligt bleiben sollen, so begehrt ist ein Auvisor. Selbst der Präsident des Vereinigten Katharsia würde ihn auf der Stelle empfangen.“
„Und was wäre die Gegenleistung, die ich zu erbringen hätte?“, wollte Sando wissen.
„Nun, du müsstest mit einem Einsatz überall dort rechnen, wo Seelenkommunikation gefragt ist. Den letzten Auvisor haben sie in den Hades geschickt, um die gefangenen Seelen zu identifizieren. Die Wachen hatten im Verlaufe der Jahrhunderte den Überblick verloren, welche Seele noch existierte und welche bereits zerronnen war. Ich hätte nicht mit ihm tauschen mögen!“
„Ich will nicht in den Hades!“, sagte Sando spontan.
Massef sah ihn durchdringend an. „Du meinst also allen Ernstes, du kannst Seelen sehen und mit ihnen sprechen?“
„Er kann es“, antwortete Denise an seiner statt.
„Und in dieser albernen Tasche steckt der alte Ben Hakim?“
Denise schluckte.
„Sie hat ein Kokonfutter, damit Ben nicht geortet werden kann“, erklärte sie verstimmt.
Der Reporter streckte seine Hand aus und berührte die Tasche zaghaft.
„Interessant! Es sieht aus, als wäre sie ein wenig mit Luft gefüllt.“
In diesem Moment sackte das Kunstleder in sich zusammen.
„Was ist denn jetzt los?“
Massef zog verunsichert seine Hand zurück.
„Die Seele ist herausgeglitten“, kommentierte Sando das Geschehen. „Ben schwebt jetzt direkt über Ihnen, Herr Massef.“
Der Reporter warf einen scheelen Blick zur Decke hinauf. Ihm war die Sache nicht geheuer.
„Sollte dort wirklich seine Seele sein, wäre es vielleicht besser, sie versteckt sich wieder.“
Unmittelbar darauf hob sich das Leder wieder etwas.
Massef beobachtete es fasziniert. Seine Zweifel waren verflogen. Er beugte sich über die Tasche und sagte: „Herzlich willkommen, Herr Hakim! Freut mich, einen erfahrenen Mann wie Sie in der Runde zu wissen. Was sagen Sie dazu, dass sich unser junger Freund als Auvisor zu erkennen gibt? Dann wären wir sicher den ganzen Schlamassel auf einen Schlag los.“
Sando fiel auf, wie Ben in seinem Kokon den Mittelfinger der rechten Hand zur Augenbraue führte und nachdenklich die Stirn in Falten legte. Selbst als Seele war er seiner typischen Geste treu geblieben.
„Das glaube ich nicht“, zirpte Ben. „Ich sehe ein großes Risiko, dass er mit dieser Fähigkeit in die falschen Hände gerät. Wer weiß, wozu er dann genötigt wird, und uns allen wäre nicht geholfen – im Gegenteil, unsere Lage wäre noch gefährlicher.“
Massef nickte, als er Bens Meinung erfuhr. „Ich sehe, Sie trauen den Behörden nicht über den Weg.“
„Sie etwa?“
„Offen gesagt, nein. Aber es wäre so einfach gewesen.“
Der Reporter seufzte.
„Was tun wir jetzt?“
Denise meldete sich zu Wort: „Wir haben Fotos mitgebracht von der Beerdigung der KORE-Kämpfer. Sie kommen als Journalist viel herum. Vielleicht kennen Sie jemanden darauf.“
Sie legte die Bilder auf den Tisch.
Massef staunte nicht schlecht. „Bei dieser Zeremonie war die Presse nicht zugelassen. Nie sind irgendwelche Fotos an die Öffentlichkeit gelangt.“
Beinahe ehrfürchtig nahm er das Bildmaterial zur Hand.
„Die Frauen im Vordergrund sind offenbar die Mütter der Toten. Ich kenne sie nicht …“
„Ben hat ihre Namen herausgefunden“, informierte Denise den Reporter. „Interessant ist, dass sie beide im Hades waren.“
Massef horchte auf. „Beide? Das ist doch kein Zufall! Was hat das KORE vor? Wenn ich nicht genau wüsste, dass man den Wachen des Hades trauen kann, würde ich mir jetzt ernsthaft Sorgen machen um die Sicherheit dort unten in den Seelenverliesen.“ Unverwandt betrachtete er die Gesichter der trauernden Mütter, als könnte er in ihnen die Antwort auf seine Frage lesen. Schließlich legte er das Foto beiseite, um sich das nächste anzuschauen.
Ein Blick darauf genügte, um ihn aufspringen zu lassen wie von der Tarantel gestochen.
„Es ist unglaublich! Ich habe mich immer gefragt, warum das KORE die Chance zur öffentlichen Ehrung ihrer gefallenen Helden nicht genutzt hat. So ein Spektakel rührt doch die Herzen, bringt ein Meinungsplus. Jetzt weiß ich es!“
Er klatschte das Foto geräuschvoll auf die Arbeitsplatte seines Schreibtisches und stieß mit dem Zeigefinger auf einen der Abgebildeten.
„Dieser Mann ist kein Geringerer als Präsidentenberater Lorenzo Battoni, eine Graue Eminenz, deren Einfluss auf den mächtigsten Mann Katharsias erheblich sein
Weitere Kostenlose Bücher