Kathedrale
Transportbecken des Symbionten in die Knie ging, um Dax in die lebenserhaltende purpurfarbene Flüssigkeit zu legen. Mitten in der Bewegung hielt Juarez inne und runzelte die Stirn.
Hilflos sah er zu Bashir und Krissten. »Er … windet sich.«
»Oh, verdammt.« Bashir rannte zu ihm, den Trikorder gezückt, und scannte den Symbionten schnell. »Eine Überdosis Isoboramin. Der Symbiont erleidet einen neuroleptischen Schock.«
»Ich dachte, Isoboramin sei die Grundlage der Trill-Symbiose«, sagte Juarez.
»Richtig«, erwiderte Bashir, immer noch entsetzt über das Ausmaß seines Fehlers. »Aber die Symbionten vertragen es nicht in hohen Dosen.«
»Gibt es einen Gegenwirkstoff?«, fragte Krissten.
Vorsichtig nahm Bashir die Kreatur aus Juarez’ Händen. Der Symbiont zuckte, als müsste er gleich zerplatzen. Es dauerte einen Moment, bis Bashir die Frage gedanklich fassen konnte. Warum fiel ihm das Denken immer schwerer? »Ja«, antwortete er schließlich. »Zum Glück gibt es ein Gegenmittel.«
Krissten schnappte sich ein neues Hypospray und wartete auf seine Befehle. Doch plötzlich wurde ihm klar, dass er diesmal kein Skalpell fallen lassen musste, um das Leben eines Patienten zu gefährden. Diesmal genügte schon ein Blackout.
»Doktor?« Krissten klang allmählich panisch.
Bashirs Kopf dröhnte. Ihm war, als litte er unter akutem Raktajino -Entzug. Er schloss fest die Augen und zwang den Schmerz, zu vergehen. »Lassen Sie mich kurz nachdenken«, bat er – bemüht, seine eigene Sorge nicht zu zeigen. Die kleine, hilflose Kreatur, die das Wesen der Frau enthielt, die er liebte, wand sich zitternd in seinen Armen. Er spürte intuitiv, dass ihr Tod kurz bevorstand.
»Doktor?«, wiederholte Krissten drängend.
Er ignorierte sie. Seine Gedanken waren weitergewandert, drehten sich um Nogs neues Bein und Vaughns Kommentar, dass es sich dabei um ein Wunder handele. Und um das kathedralenhafte fremde Objekt, das dessen Ursprung sein musste.
Gibt es einen besseren Ort, um nach Wundern zu suchen, als eine Kathedrale?
Mit einem Mal war er geistig nicht länger in der Krankenstation. Nicht länger auf der Defiant . Nicht einmal mehr im Gamma-Quadranten. Sein geistiges Auge öffnete sich und sah das endlose Jetzt der Erinnerungen. Vor ihm standen vier hohe, rotbraune Säulen, über denen sich eine dreißig Meter messende Kuppel erstreckte. Das ganze Bauwerk glitzerte im Licht der Nachmittagssonne, die vom wolkenlosen Wüstenhimmel schien.
Kurz nachdem seine Eltern ihn zur genetischen Aufwertung nach Adigeon Prime gebracht hatten, stellte Bashir fest, dass er Methoden entwickeln musste, um der Informationsflut Herr zu werden, die sein agiler Geist aufzunehmen und zu speichern begonnen hatte. Mit acht Jahren verschlang er die Biografie Leonardo da Vincis und fand darin einen nützlichen Gedächtnistrick. Mit gleicher Sorgfalt, die er seinen beeindruckenden Meisterwerken zuteilwerden ließ, hatte Leonardo in seinem Geist eine gewaltige, detailreiche Kathedrale errichtet, einen Dom für seine Gedanken. Jedes Vestibül, jede Galerie, Treppe, Vorhalle und Kammer war im Geist des vielseitigen Künstlers gespeichert. Jede Skulptur und jedes Gemälde waren exakt positioniert, jedes Regal, jedes Buch, ja, jede Buchseite mit äußerster Anstrengung an ihren Platz gedacht und für spätere Verwendung gelagert.
Wann immer Leonardo eine spezifische Information abrufen wollte, die er zuvor in seiner »Kathedrale der Erinnerung« gespeichert hatte, musste er nur die Augen schließen, die weiten Korridore der großen Basilika abschreiten und den Raum aufsuchen, in dem sie sich befand.
Der junge Julian Bashir hatte eine weitaus simplere, wenn auch durchaus beeindruckende Architektur für seine eigene mentale Kirche gewählt – die der Hagia Sophia, Istanbuls Kathedrale aus dem sechzehnten Jahrhundert. Obwohl seitdem viele Jahre vergangen waren, hatte er nie die Notwendigkeit verspürt, sich ein größeres, komplexeres Gebäude zu ersinnen. Vielleicht ging das auf die Vorliebe seines Vaters für die Architektur der Barock- und Rokoko-Zeit zurück.
In dem eigenständigen Universum innerhalb seiner Gedanken eilte Bashir nun die steinernen Stufen der Hagia Sophia hinauf, rannte durch das offene Tor, das Vestibül und ins Zentrum des Bauwerks. Jahre waren verstrichen, seit er zuletzt derart direkt auf diesen Gedächtnistrick angewiesen gewesen war. Bashir hatte längst gelernt, seine mentalen Fähigkeiten subtiler zu nutzen – Wissen
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