Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
brachten ihn acht Mauren, deren Vorfahren von der nordafrikanischen Küste kamen, von der Sie gesprochen haben, nach Montglane. Ich will dort hinreisen, um das Geheimnis zu enträtseln, das sich mit diesem Schatz verbindet...“
„Dann müssen Sie uns nach Korsika begleiten!“ rief Elisa und beugte sich aufgeregt über den Tisch. „Unsere Insel liegt etwa auf halbem Weg! Wir bieten Ihnen auf der Reise den Schutz meines Bruders, und wenn wir dort sind, die Gastfreundschaft unserer Familie.“
Sie hat recht, dachte Mireille, in Korsika befinde ich mich zwar noch auf französischem Boden, bin aber weit entfernt von Marat, der hier in Paris alles daran setzt, mich zu finden.
Aber noch etwas wurde ihr bewußt. Sie starrte in die Flamme. Der Docht schwamm inzwischen nur noch in einem Wachsrest; Mireille fühlte, wie ein dunkles Licht in ihr aufflammte. Sie hörte wieder Talleyrands geflüsterte Worte, als sie auf dem zerwühlten Bett saßen und er den Hengst des Montglane-Schachspiels in der Hand hielt: „Und ein anderes Pferd kam hervor, ein feuerrotes ... und dem, der darauf saß, wurde die Macht gegeben, den Frieden von der Erde hinwegzunehmen und zu bewirken, daß sie einander hinschlachten sollten... und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben ...“
„Und der Name des Schwerts ist Rache“, sagte Mireille laut.
„Das Schwert?“ fragte Napoleon. „Was für ein Schwert?“
„Das Schwert der Vergeltung“, erwiderte sie.
Als das Licht langsam erlosch, sah Mireille wieder die Inschrift vor sich, die sie in all den Jahren ihrer Kindheit Tag für Tag über dem Portal des Klosters gesehen hatte:
Fluch dem, der diese Mauern schleift. Nur die Hand Gottes steht über dem König.
„Vielleicht haben wir nicht nur einen Schatz im Kloster von Montglane ausgegraben’„, sagte sie leise. Trotz der warmen Nacht umschloß eisige Kälte ihr Herz, als lege sich eine kalte Hand darum. „Vielleicht“, sagte sie, „haben wir auch einen alten Fluch zum Leben erweckt.“
KORSIKA Oktober 1792
Als sie anlegten, sprang Napoleon sofort an Land und half, das Schiff am Landesteg zu vertäuen. Im Hafen von Ajaccio herrschte geschäftiges Treiben. Viele Kriegsschiffe ankerten dicht vor der Hafeneinfahrt. Französische Soldaten sprangen über die Taue und kamen eilig an Bord. Mireille und Elisa beobachteten sie verwundert.
Die französische Regierung hatte Korsika den Befehl erteilt, die Nachbarinsel Sardinien anzugreifen. Die Männer entluden die Vorräte, die das Schiff an Bord hatte; Mireille hörte, wie die französischen Soldaten sich mit Männern der korsischen Nationalgarde darüber stritten, ob dieser Angriff, der unmittelbar bevorzustehen schien, gerechtfertigt sei.
Dann hörte Mireille plötzlich unten an Land einen Freudenschrei. Als sie zum Kai hinunterblickte, sah sie, wie Napoleon durch die Menschenmenge auf eine kleine, schlanke Frau zueilte, die an jeder Hand ein Kind hielt. Bei ihr angelangt, nahm er sie stürmisch in die Arme. Mireille sah flüchtig kastanienbraune Haare leuchten, weiße Hände, die Napoleon wie Tauben umflatterten, während die zwei Kinder um Mutter und Sohn herumsprangen.
„Unsere Mutter Letizia“, flüsterte Elisa und sah Mireille lächelnd an. „Und meine Schwester Maria-Carolina. Sie ist zehn. Neben ihr der kleine Girolamo. Als ich vor acht Jahren Korsika verließ, war er noch ein Baby. Napoleon war schon immer Mutters Liebling. Kommen Sie, ich werde Sie mit meiner Mutter bekannt machen.“ Sie verließen das Schiff und betraten den von Menschen belagerten Hafen.
Letizia Ramolino Buonaparte entdeckte Mireille und Elisa schon von weitem. Ihre blassen Augen, die so durchsichtig waren wie blaues Eis, richteten sich prüfend auf die beiden. Das ruhige Gesicht wirkte gelassen. Alles an ihr schien sanft, aber trotzdem ging von ihr etwas so Gebieterisches aus, daß Mireille glaubte, selbst das Geschrei und Durcheinander der Menschen im Hafen müßten sich ihr unterordnen.
„Madame Mère“, sagte Elisa und umarmte ihre Mutter, „ich stelle Euch unsere neue Freundin vor. Sie kommt von Madame de Roque - der Äbtissin von Montglane.“
Letizia sah Mireille lange wortlos an. Dann streckte sie die Hand aus.
„Ja“, sagte sie leise, „ich habe Sie erwartet.“
„Mich erwartet?“ fragte Mireille überrascht.
„Sie haben eine Nachricht für mich - nicht wahr? Eine wichtige Nachricht.“
„Madame Mère, wir haben eine Nachricht!" rief Elisa und zog sie am Ärmel. Letizia sah ihre Tochter
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