Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Valentine, die Äbtissin, Marat, Charlotte Corday gab für mich ihr Leben! Die Untaten dieser Frau werden nicht ungesühnt bleiben. Die Rache ist nicht meine Aufgabe, aber ich will diese Figuren, koste es, was es wolle!“
Talleyrand war zurückgewichen und sah sie mit Tränen in den Augen an. Er hatte Courtiade vergessen, der nun zu ihm trat und ihm die Hand auf den Arm legte.
„Monseigneur, Madame hat recht“, sagte er leise, „so sehr wir uns auch nach dem Glück sehnen, so sehr wir auch die Augen vor allem verschließen wollen - dieses Spiel wird nie enden, bis alle Figuren vereint und unschädlich gemacht worden sind. Das wissen Sie so gut wie ich. Madame Grand muß aufgehalten werden.“
„Ist nicht bereits genug Blut geflossen?“ fragte Talleyrand.
„Mir geht es wirklich nicht mehr um Rache“, erklärte Mireille und sah wieder Marats entstelltes Gesicht vor sich und wie er ihr zeigte, wo sie mit dem Dolch zustechen sollte. „Ich will die Figuren - das Spiel muß ein Ende haben.“
„Sie hat mir die eine Figur freiwillig gegeben“, sagte Talleyrand, „auch Gewalt wird sie nicht dazu bringen, sich von den anderen zu trennen.“
„Wenn du sie heiratest“, sagte Mireille, „dann gehört ihr Besitz nach französischem Recht dir. Sie gehört dann dir.“
„Heiraten!“ schrie Talleyrand und wich vor Mireille zurück, als habe er sich verbrannt. „Aber ich liebe dich! Außerdem bin ich ein Bischof der katholischen Kirche. Mit oder ohne Bistum unterstehe ich dem römischen und nicht dem französischen Gesetz.“
Courtiade räusperte sich. „Monseigneur werden möglicherweise eine päpstliche Dispensierung erwirken“, erklärte er höflich. „Soweit mir bekannt ist, gibt es Präzedenzfälle.“
„Courtiade, vergiß bitte nicht, in wessen Dienst du stehst!“ fuhr ihn Talleyrand an. „Es kommt nicht in Frage. Wie kann man nach allem, was wir über diese Frau wissen, an so etwas auch nur denken?! Mireille, für sieben elende Schachfiguren soll ich meine Seele verkaufen?“
„Um dieses Spiel für alle Zeiten zu beenden“, sagte Mireille mit dunkelglühenden Augen, „würde ich meine Seele verkaufen.“
KAIRO Februar 1799
„Das ist die Sphinx“, sagte Schahin zu Charlot. Der rothaarige, inzwischen sechs Jahre alte Junge sprach fließend Kabylisch, Arabisch und Französisch. Schahin konnte sich mühelos mit ihm unterhalten. „Sie ist eine uralte und mythische Gestalt mit dem Kopf einer Frau und dem Körper eines Löwen. Sie sitzt zwischen den Sternzeichen Löwe und Jungfrau, wo am Tag der Sommersonnwende die Sonne untergeht.“
„Warum hat sie einen Bart, wenn sie eine Frau ist?“ fragte Charlot und blickte zu der großen Gestalt aus Stein hinauf.
„Sie ist eine große Königin - die Königin der Nacht“, erwiderte Schahin, „Ihr Planet ist Merkur, der Gott des Heilens. Der Bart ist ein Zeichen ihrer großen Macht.“ „Meine Mutter ist auch eine große Königin, hast du mir gesagt“, erwiderte Charlot, „aber sie trägt keinen Bart.“
„Vielleicht möchte sie ihre Macht nicht zur Schau stellen“, sagte Schahin. Sie blickten von der Anhöhe über die Wüste. In der Ferne sahen sie das Feldlager mit den vielen Zelten. Von dort waren sie aufgebrochen. Um sie herum erhoben sich die gewaltigen Pyramiden im goldenen Sonnenlicht. Charlot sah Schahin mit seinen blauen Augen an. „Wer hat die Pyramiden gebaut?“
„Viele Könige vor Tausenden von Jahren“, antwortete Schahin. „Diese Könige waren auch große Priester. Deshalb nennen wir sie auf arabisch kahin - einer, der die Zukunft kennt. Bei den Phöniziern, Babyloniern und den Khabiru - das Volk, das man Hebreu nennt - ist die Bezeichnung für Priester kohen , und in meiner Sprache sagen wir kahuna .“
„Bin ich ein kahuna ?“ fragte Charlot, als Schahin ihm von der Löwentatze herunterhalf. Ein Trupp Reiter näherte sich ihnen vom Feldlager. Die Hufe ihrer Pferde wirbelten kleine Sandwölkchen auf.
„Nein“, sagte Schahin ruhig, „du bist mehr als das.“ Als die Pferde anhielten, sprang der junge Reiter an der Spitze ab, kam mit großen Schritten auf sie zu und zog dabei seine Handschuhe aus. Die langen kastanienbraunen Haare fielen ihm auf die Schultern. Er kauerte vor dem kleinen Charlot nieder, während die anderen Reiter absaßen. „Hier bist du also“, sagte der junge Mann. Er trug eine enganliegende Reithose und die
hochgeschnittene französische Uniformjacke. „Mireilles Kind! Ich bin General
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