Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Jacques-Louis.
Jacques-Louis David blickte in dem kleinen Eßzimmer neben dem Atelier auf die Rue de Bac. Maurice saß mit dem Rücken zum Fenster steif auf einem der mit rot-weiß gestreiftem Satin bezogenen Stühle an dem Mahagonitisch. Mehrere Schalen mit Obst und bronzene Kerzenleuchter standen auf dem für vier Personen gedeckten Tisch. Die hübschen Porzellanteller hatten ein Blumenmuster mit Vögeln.
„Wer hätte eine solche Reaktion erwarten können?“ sagte Jacques-Louis kopfschüttelnd und griff nach einer Orange. „Ich entschuldige mich für meine Schützlinge. Ich war oben, und sie sind bereit, sich umzuziehen und zum Mittagessen herunterzukommen.“
„Wie kommt es, daß Sie Hüter dieser Schönheiten geworden sind?“ fragte Maurice, drehte den Stiel des Weinglases und trank einen Schluck. „Mir scheint das zuviel Freude für einen Mann allein und in Ihrem Fall eigentlich eine Verschwendung.“
David sah ihn kurz an und erwiderte: „Ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich weiß auch nicht, wie ich dieser Aufgabe gerecht werden soll. Ich habe in ganz Paris vergeblich eine geeignete Erzieherin gesucht, die ihre Ausbildung weiterführen kann. Ich bin am Ende meines Lateins, seit meine Frau vor ein paar Monaten nach Brüssel abgereist ist.“
„Ihre Abreise stand doch nicht etwa im Zusammenhang mit der Ankunft der bezaubernden ‘Nichten?’" fragte Talleyrand und lächelte über Davids mißliche Lage. Dieser griff seufzend nach seinem Weinglas.
„Aber nein!“ widersprach er niedergeschlagen. „Meine Frau und ihre Familie sind unerschütterliche Royalisten. Sie mißbilligen mein Engagement für die Nationalversammlung. Sie sind der Ansicht, ein bürgerlicher Maler wie ich, der von der Monarchie unterstützt worden ist, sollte sich nicht öffentlich zur Revolution bekennen. Seit der Erstürmung der Bastille hat meine Ehe sehr gelitten. Meine Frau verlangt, daß ich mein Mandat in der Nationalversammlung niederlege und keine politischen Bilder mehr male. Das sind ihre Bedingungen für eine Rückkehr.“
„Aber mein Freund, als Sie den ‘Schwur des Horaz’ in Rom enthüllt haben, kam die Menge in Ihr Atelier an der Piazza del Popolo und streute Blumen vor dem Bild! Es war das erste Meisterwerk der Neuen Republik, und Sie sind der gepriesene Maler des Volks.“
„Ich weiß das, aber meine Frau nicht.“ David seufzte. „Sie hat die Kinder mit nach Brüssel genommen und wollte sich auch meiner Schützlinge annehmen. Aber die Vereinbarung mit der Äbtissin besagt, daß sie in Paris bleiben, und sie zahlt mir dafür eine beachtliche Summe. Außerdem gehöre ich hierher.“
„Äbtissin? Sind Ihre Schützlinge Nonnen?“ Maurice konnte nur mühsam das Lachen unterdrücken. „Das ist verrückt! Wie kann man zwei junge Frauen, Bräute Christi, in die Hände eines dreiundvierzigjährigen Mannes geben, der nicht einmal mit ihnen verwandt ist? Was hat sich die Äbtissin dabei gedacht?“
„Sie sind keine Nonnen. Sie haben das Gelübde noch nicht abgelegt. Anders als Sie zum Beispiel!“ sagte Jacques-Louis nicht ohne Bosheit. „Offenbar hat die prüde alte Äbtissin sie vor Ihnen gewarnt und gesagt, Sie seien der Leibhaftige in Menschengestalt.“
„Nun ja, mein Leben ist nicht ganz so gewesen, wie es hätte sein sollen“, räumte Maurice ein. „Es überrascht mich dennoch, daß eine Äbtissin aus der Provinz dieses Urteil über mich fällt. Ich hatte geglaubt, in gewissen Dingen Diskretion zu wahren..
„Wenn Sie es diskret nennen, in ganz Frankreich uneheliche Kinder in die Welt zu setzen, während Sie die Letzte Ölung erteilen und behaupten, ein Priester zu sein, dann weiß ich nicht, was mangelnde Verschwiegenheit bedeutet.“
„Ich wollte nie Priester werden“, erklärte Maurice bitter. „Man muß sich mit seinem Schicksal abfinden. An dem Tag, an dem ich endgültig dieses Gewand ausziehe, werde ich mich zum ersten Mal in meinem Leben sauber fühlen.“
In diesem Augenblick betraten Valentine und Mireille das kleine Eßzimmer. Sie trugen beide die einfachen Reisekleider, die sie noch im Kloster erhalten hatten. Nur ihre glänzenden Locken brachten etwas Farbe auf das stumpfe Grau. Beide Männer standen auf, um sie zu begrüßen.
„Wir warten bereits eine Viertelstunde auf euch“, sagte David streng. „Ich hoffe, ihr werdet euch jetzt benehmen und höflich zu Monseigneur sein. Ich bin sicher, was immer ihr auch über ihn gehört haben mögt, es würde neben der Wahrheit verblassen.
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