Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
mich, seine Kandidatin für die Verbindung von Preußen und Rußland durch eine Heirat, für sich einnehmen. Er hatte sich für mich und nicht für seine Schwester entschieden, da er diese nicht für solche Zwecke opfern wollte.
Damals war der preußische Hof so glanzvoll, wie er später spartanisch werden sollte. Nach meiner Ankunft gab sich der König alle erdenkliche Mühe, mich zu bezaubern und alle meine Wünsche zu erfüllen. Ich mußte Kleider seiner königlichen Schwestern tragen und jeden Abend beim Essen neben ihm sitzen. Er unterhielt mich mit Geschichten von der Oper und dem Ballett. Ich war zwar noch ein Kind, aber ich ließ mich nicht täuschen. Ich wußte, er wollte mich nur als Bauer in einem größeren Spiel benutzen. Und dieses Spiel spielte er auf dem Schachbrett Europa.
Nach einiger Zeit erfuhr ich, daß am preußischen Hot ein Mann weilte, der erst vor kurzem nach Berlin zurückgekehrt war, nachdem er zehn Jahre am Hof in Rußland gelebt hatte. Er war Friedrichs Hofmathematiker und hieß Leonhard Euler. Ich besaß die Kühnheit, ihn um ein persönliches Gespräch zu bitten, denn ich dachte, er würde mir vielleicht seine Ansichten über das Land mitteilen, in das ich so bald reisen sollte. Ich ahnte nicht, daß diese Begegnung eines Tages meinem Leben eine andere Richtung geben sollte.
Die erste Begegnung mit Euler fand in einem kleinen Vorzimmer in dem großen Schloß in Berlin statt. Dieser einfache Mann mit dem hervorragenden Verstand wartete dort auf das Kind, das bald Zarin sein würde. Wir müssen ein seltsames Paar gewesen sein. Er stand allein in dem Raum. Er war groß, wirkte zerbrechlich und hatte einen langen, flaschenartigen Hals, dunkle Augen und eine lange Nase. Er schien zu schielen, aber das eine Auge war bei der Beobachtung der Sonne erblindet, denn Euler war auch Astronom.
„Ich bin es nicht gewohnt zu reden“, erklärte er. „Ich komme aus einem Land, in dem man gehängt wird, wenn man den Mund aufmacht.“ Das war meine erste Lektion über Rußland, und ich kann dir versichern, in späteren Jahren ist sie mir sehr nützlich gewesen. Euler erzählte mir, daß die Zarin Elisabeth Petrowna fünfzehntausend Kleider und fünfundzwanzigtausend Paar Schuhe besaß. Wenn ihre Minister auch nur im geringsten anderer Meinung waren als sie, warf sie ihnen ihre Schuhe an den Kopf und ließ sie je nach Laune hängen. Sie hatte zahllose Liebhaber, aber ihre Trinkgewohnheiten waren noch exzessiver als ihr ausschweifendes Liebesleben. Sie duldete keine andere Meinung. Dr. Euler und ich verbrachten viel Zeit miteinander, nachdem er seine anfängliche Zurückhaltung überwunden hatte. Wir mochten uns, und er gestand mir, es wäre ihm eine Freude, wenn ich am Hof in Berlin bleiben würde und er mich in Mathematik unterrichten könnte, denn auf diesem Gebiet zeigte ich eine vielversprechende Begabung. Natürlich war das unmöglich. Euler vertraute mir sogar an, daß er nicht viel von König Friedrich, seinem Gönner, hielt. Es gab einen guten Grund dafür - außer dem Umstand, daß mathematisches Denken nicht zu Friedrichs Stärken zählte. Am letzten Tag meines Aufenthalts in Berlin nannte mir Euler diesen Grund.
„Meine kleine Freundin“, sagte er, als ich an diesem schicksalsschweren Morgen in sein Arbeitszimmer kam, um mich von ihm zu verabschieden. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er eine Linse mit seinem Seidenschal polierte. Das tat er immer, wenn er über ein Problem nachdachte. „Ich muß Euch vor Eurer Abreise noch etwas sagen. Ich habe Euch in den letzten Tagen aufmerksam beobachtet, und ich glaube, ich kann Euch das anvertrauen, was ich sagen mochte. Es wird uns beide jedoch in große Gefahr bringen, wenn Ihr meine Gedanken unvorsichtig ausplaudert.“ Ich versprach dem Mathematiker, daß ich all das, was er mir anvertrauen würde, mit meinem Leben schützen werde. Zu meiner Überraschung erwiderte er, das sei in der Tat
vielleicht notwendig. „Ihr seid jung, Ihr habt keine Macht, und Ihr seid eine Frau.“, sagte Euler. „Aus diesen
Gründen hat Euch Friedrich als sein Werkzeug in dem riesigen, dunklen russischen Reich auserkoren. Vielleicht ist Euch nicht bewußt, daß dieses große Land seit zwanzig Jahren ausschließlich von Frauen regiert wird: zuerst Katharina die Erste, die Witwe von Peter dem Großen, dann Anna Iwanowna, Iwans Tochter, Anna von Mecklenburg, Regentin für ihren Sohn Iwan den Sechsten, und jetzt Elisabeth Petrowna, Peters
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