Katie außer Rand und Band - wie eine Hundedame unser Herz eroberte
noch deutlich, wie ich diese Leere in mir spürte. Meine Welt hatte den Boden verloren.«
Granny sah Paul konzentriert an.
»Es hat mich schwerer getroffen als der Tod von Menschen in meinem Bekanntenkreis«, gab er zu. »Aber Cleo war mir einfach sehr wichtig. Lange habe ich viel geweint, doch ich habe mich nicht gegen den Schmerz gewehrt, sondern gewartet, dass die Zeit ihm seinen Stachel nimmt. Abgesehen davon«, fuhr er fort, »weiß man, dass Hunde, die ihre Besitzer sehr lieben, sich heldenhaft bemühen, ihre Schmerzen zu verbergen, um ihrem Herrchen oder Frauchen Sorgen zu ersparen.
Der Kummer, den wir fühlen«, sagte er zum Schluss, »ist der Preis, den wir für die Freude bezahlen müssen, die uns unsere Hunde schenken. Ich versuche immer, daran zu denken, wie viel Glück ich hatte, dass Cleo so lange bei mir lebte.«
»Du hast recht«, pflichtete Pearl ihm bei, doch dann verstummte sie. Pauls Worte waren vernünftig und tröstlich, aber Pearls kummervoller Miene entnahm ich, dass im Moment wohl nichts sie wirklich trösten konnte.
Paul hatte eben etwas gesagt, was mir einen richtigen Stich versetzte: Gegen Ende ihres Lebens hatte sich Katie oft ins Bad verkrochen. Dann lag sie dort lang ausgestreckt, den Kopf auf die Seite gelegt. Offenkundig fühlte sie sich elend, war jedoch entschlossen, mir ihre Schmerzen nicht zu zeigen. Jedes Mal, wenn ich sie dort fand, brach es mir das Herz. Ich hob sie dann immer behutsam hoch und flüsterte ihr ins Ohr, dass sie ein braves Mädchen war, bevor ich sie wieder in mein Bett auf ein Daunenkissen legte.
»Gestern Nacht ist etwas Seltsames passiert«, berichtete ich Granny. »Irgendwann habe ich die Tischdecke rascheln hören, als ob Katie darunter spielen würde. Und ich dachte wirklich, es sei Katie – bis ich richtig wach war.«
»Dein Mädchen hat sich immer gern unter den Tischen versteckt und die Tischdecken ruiniert. Weißt du noch?«
Na klar. Und ich bedauere keinen Cent, den mich die Reinigung gekostet hat.
Die Älteste stand vom Tisch auf und legte sich wieder ins Bett.
Ein paar Stunden später verabschiedete sich Paul von mir, auch wenn ich ihn nur ungern ziehen ließ. Wir waren seit zweiunddreißig Jahren befreundet, und jetzt hatte er mich bei Katies letztem Lebensabschnitt begleitet – und auf dem Klavier.
Er umarmte mich herzlich. »Du schaffst es schon, auch ohne Katie. Glaub mir, du schaffst es.« Ich war mir nicht so sicher.
Ich kehrte in Grannys Wohnung zurück, doch sie schlief noch immer tief und fest. So verbrachte sie mittlerweile einen Großteil des Tages. Sie flüchtete sich gern in den Schlaf. Ich beneidete sie darum.
»Katie war ihr Baby«, sagte Naia. Wir hatten uns mit einer dampfenden Tasse Kräutertee wieder an den Esstisch gesetzt. »Katie gab ihr einen Grund zu leben.« Genau wie Ryan, dachte ich.
Damals wusste ich es noch nicht, doch Pearl schüttete ihrer lieben Freundin Rose immer häufiger ihr Herz aus, da sie mir gegenüber in Gefühlsdingen eher zurückhaltend war. »Es hat Pearl richtig krank gemacht, dass du Katie hast einschläfern lassen«, erzählte Rose später.
Das half mir wahrhaftig nicht weiter. Ich wusste ja, dass Pearl meine Entscheidung nicht gutgeheißen hatte, und hatte ständig Schuldgefühle. Hatte ich im rechten Moment richtig gehandelt?
»Natürlich hast du das«, versicherte mir Rose, die ganz genau wusste, wie sehr Katie gelitten hatte.
Aber ohne Katie tat sich eine schreckliche Leere in meinem Leben auf. Wohin ich auch blickte, alles erinnerte mich an »das Kind«. In Pearls Wohnung war es der Stuhl am Esstisch: Auf dem hatte sie immer gesessen, sich etwas von Grannys Teller stibitzt und fachmännisch Reihe um Reihe die Maiskörner vom Kolben abgenagt. Auf dem Fußboden lagen noch all ihre Spielsachen, auch die Quietschmaus, die sie so geliebt hatte. In der Vitrine stand die Dose mit Hundekuchen, noch immer gut gefüllt; auf dem Boden waren Kratzer von ihren Krallen; auf der Minnie-Mouse-Plastikunterlage standen ihr Fress- und Wassernapf. Ich nahm die Näpfe und ging nach Hause.
Zu sagen, dass es auf unserem Korridor ruhig war, wäre grob untertrieben gewesen. Während ich langsam zu meiner Wohnung ging, stürmten Bilder auf mich ein, die eine Zeitspanne von fast fünfzehn Jahren umfassten.
Ich sah, wie Katie auf dem Weg zu Pearl fröhlich hinter mir herhüpfte und eifrig an mir hochsprang; wie sie den blauen Gummiball apportierte, den Arthur geworfen hatte; wie sie beim Wettrennen mit
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