Katie Chandler 02 - Alles ausser Hex-ok-neu
das Gebäude betraten, spürte ich die veränderte Atmosphäre. Statt von den Kollegen, an denen ich unterwegs vorbeikam, freundlich gegrüßt zu werden, wurde ich mit kühlen Blicken bedacht. Und nicht nur ich. Auch mit Owen sprach keiner ein Wort. Dabei war mir vorher immer aufgefallen, wie sehr er von allen geschätzt wurde. Niemand schaute dem anderen in die Augen, wenn er im Flur an jemandem vorbeikam. Es war so, als betrachtete jeder jeden als potenziellen Verräter. Als Gregor mir entgegenkam, verdrückte ich mich schnell. Er war leuchtend grün und stritt gerade lauthals mit jemandem, der behauptete, er setze die Verifizierer zu seinem persönlichen Vorteil ein.
Trix saß bereits an ihrem Schreibtisch, als ich in Merlins Bürotrakt kam. »Geht’s dir besser?«, fragte ich.
»Schon erstaunlich, wie sehr eine Tonne Schokolade und drei Mal Thelma und Louise hintereinander die Perspektive auf die Dinge verschieben können«, gab sie grimmig zurück.
»So schlimm?«
»Er hat mir das ganze Band mit Entschuldigungen vollgequatscht.«
»Klingt doch nach einem guten Zeichen.«
»Ari meinte, ich sollte ihn bis Donnerstag schmoren lassen und dieses Wochenende nicht mit ihm ausgehen, dann würde er mir am Montag aus der Hand fressen.«
»Oder aber ihr versöhnt euch jetzt sofort wieder und habt ein schönes gemeinsames Wochenende vor euch«, schlug ich vor. Aris Vorschlag erschien mir ein wenig zu hart, es sei denn, er hatte irgendwas Schlimmes angestellt und deshalb nichts Besseres verdient.
Sie seufzte. »Daran hab ich auch schon gedacht.
Vielleicht mache ich es auch und sage Ari nichts davon. Ich vermisse ihn jetzt schon zu sehr, um die Sache noch eine Woche hinzuziehen.« Sie wechselte unvermittelt das Thema. »Wie ich höre, herrschte hier gestern eine ganz schöne Aufregung.«
Es musste einen Mailingverteiler für Firmenklatsch geben, dem ich offenbar nicht angehörte. »Ja, stimmt. Die Forschung & Entwicklung ist jetzt abgeriegelt, mit richtigen Wachen vor den Türen. Und der Chef hat mein Telefon zu einer Hotline für sachdienliche Hinweise umfunktioniert, da kannst du dir vorstellen, wie mein Tag aussehen wird. Apropos: Wahrscheinlich muss ich mich durch Tausende von Nachrichten wühlen, also gehe ich mal besser an die Arbeit.«
So ganz falsch hatte ich die Lage nicht eingeschätzt. Wenn ich die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter und die E-Mails zusammennahm, kam ich auf siebenhundertfünfundsiebzig Nachrichten. Wie viele Angestellte gab es denn in dieser Firma? Irgendwer musste mehrere Nachrichten hinterlassen haben.
Ich hörte zuerst die Anrufe ab, damit ich den Speicher wieder für neue Anrufe frei machen konnte. Die meisten der so genannten Tipps waren wertlos und wiederholten nur Dinge, die ich bereits wusste. Zum Beispiel brauchte ich niemanden, der mich aufforderte, doch die Mitarbeiter der Forschung & Entwicklung mal genauer unter die Lupe zu nehmen.
»Sie sollten sich Melisande Rogers aus der Verkaufsabteilung mal vornehmen«, lautete ein typischer Text. »Sie geht andauernd mittags zu angeblichen Geschäftsessen, von denen in der Abteilung aber niemand etwas weiß.« Dieser Hinweis war anonym, aber er kam von einem Anschluss, der zum Einzelhandelsbereich gehörte.
Die nächste Nachricht war von ähnlicher Güte: »Dagmar Holloway von der Verkaufsabteilung benimmt sich in letzter Zeit verdächtig. Wie ich höre, sinken auch ihre Umsatzzahlen.« Der Anruf kam von einem Anschluss in der Firmenkundenbetreuung. So langsam erinnerte das hier an die Mädchentoilette einer Junior High School zur Mittagszeit.
Die E-Mails waren noch schlimmer:
»Hallo, ich schreibe diess von meinem Computer zu Hause, weil ich nich möchte, das Sie wissen, wer ich bin, aber Sie sollten Kim aus der Veriverzierungsabteilung mahl überprüfen. Die macht sich dauernd Notizen, und das macht sie in meinen Augen verdechtich. Außerdem is sie eine blöde Kuh, das könn Sie ihr gern von mir ausrichten. Und sie bleibt immer lenger im Büro, und ich glaub, di hat irgendwas vor.«
Und das war noch eine von den besser geschriebenen. Ich hatte das Gefühl, jede einzelne Mail bis zum Ende durchlesen zu müssen, für den Fall, dass sich zwischen den ganzen Gehässigkeiten doch noch irgendeine brauchbare Information versteckte. Während manche der Intrigen wirklich faszinierend waren, verhielt es sich in den meisten Fällen so, dass selbst einige der BWL-Bücher, die ich in meinem Leben gelesen hatte, spannender gewesen
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