Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen
Eigentlich hatte er in sieben Minuten Schluss. Zu Hause wartete seine Freundin auf ihn. Manchmal hasste er seinen Job. Er blickte sich suchend nach einem Kollegen um, dem er die lästige Aufgabe aufs Auge drücken konnte, doch alle anderen waren demonstrativ beschäftigt. Er seufzte erneut. »Gut. Ich mach aber erst noch meinen Kram hier fertig. Sag ihm, ich rufe ihn gleich rein.«
Es dauerte fast zehn Minuten, bis der Polizeibeamte sich aufraffte, um hinter der Theke hervorzukommen, an der er und seine Kollegen gewöhnlich Anzeigen entgegennahmen. Als er allerdings an der Tür ankam und einen Blick um die Ecke warf, grinste er erleichtert. Seine Verzögerungstaktik hatte funktioniert. Er kannte diese Kerle einfach zu gut.
Die knallgelb gestrichene Eingangshalle war leer. Der alte Mann war verschwunden. Jetzt konnte er doch pünktlich nach Hause fahren.
***
Der Montag begann mit Verkehrschaos und Staus. Über das Wochenende hatten viele Menschen ihr Auto stehen lassen, aber jetzt mussten sie sich irgendwie zu ihrem Arbeitsplatz durchkämpfen. Da es wieder fast die ganze Nacht hindurch geschneit hatte und auch ein leichter Wind aufgekommen war, blieben zahlreiche Fahrzeuge in Schneeverwehungen stecken, rutschten in Straßengräben oder stellten sich auf der Fahrbahn quer. Vor allem auf kleineren Nebenstraßen, wo der Räumdienst noch nicht hingekommen war, bildeten sich endlos lange, qualmende Autoschlangen.
Auf den größeren Straßen waren es eher die kleinen Auffahrunfälle, die Polizei und Abschleppdienste auf Trab hielten. Per Radio wurden die Menschen gebeten, auf die Benutzung des eigenen PKW zu verzichten und auf öffentliche Verkehrsmittel auszuweichen. Aber hier war die Situation nicht viel besser. Viele Nahverkehrszüge hatten wegen der schwierigen Witterung Verspätung, und auf der Strecke Düsseldorf-Wuppertal war ein Baum unter den Schneelasten zusammengebrochen und auf die Gleise gestürzt.
Die Lage entspannte sich erst im Laufe des Vormittags, als der Berufsverkehr abebbte, die meisten Straßen geräumt waren, und die Sonne, die die schweren Schneewolken abgelöst hatte, ihren Beitrag dazu leistete, die weiße Pracht, die sich im hektischen Alltag der Menschen zumeist als weiße Last erwies, allmählich zu beseitigen. Für die Mitte der Woche sagten die Meteorologen Tauwetter voraus, und zu Weihnachten erwartete man Temperaturen von bis zu zehn Grad. Aber bis dahin waren es noch fünf Tage.
Für Kriminalhauptkommissar Klaus Halverstett endete die Nacht an diesem Montag um kurz vor halb sieben mit einem Anruf. Er tappte im Dunkeln ins Wohnzimmer zum Telefon. Verschlafen nahm er den Hörer ab. Es kam nicht oft vor, dass er aus dem Bett an einen Tatort gerufen wurde. Nicht so oft jedenfalls, wie man es als Laie vermuten mochte. Halverstett dachte daher zunächst an seine Schwiegermutter, die im Pflegeheim untergebracht war, als das Telefon ihn so früh morgens aus dem Schlaf riss. Doch er lag falsch. Es gab Arbeit für ihn. Ein Leichenfund im Grafenberger Wald. Eine junge Frau. Noch nicht identifiziert. Keine Papiere.
Gegen halb sechs Uhr morgens war ein Anwohner mit seinem Hund, einem jungen Boxer, die Fahneburgstraße hinaufgelaufen. Der Mann arbeitete als Nachtportier in einem Hotel und führte jeden Morgen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, den Hund aus. Oben am Parkplatz hatte er schläfrig gewartet, während das Tier im Wald herumtollte. Plötzlich fing der Boxer an, wie verrückt zu bellen. Der Mann rief mehrmals, aber das Tier kam nicht zurück. Also stapfte er verärgert durch die dicke Schneedecke in den Wald hinein, um zu nachzusehen, was denn zum Teufel los war, und entdeckte die halb zugeschneite Frau. Er alarmierte sofort die Polizei, und zehn Minuten später waren der Notarzt und zwei Beamte der Polizeiinspektion Ost vor Ort. Der Arzt konnte nur noch den Tod feststellen. Die Beamten informierten die Kriminalwache im Präsidium und man sicherte den Fundort. Die Frau hatte keine Handtasche bei sich. Zumindest fand man nicht sofort eine. Der Notarzt entdeckte jedoch in ihrer Jackentasche eine Visitenkarte. Darauf standen Name und Adresse einer Fotografin aus Bilk. Es war einer der Beamten der Kriminalwache, dem der Name bekannt vorkam. Und er wusste auch, welcher Kollege vom KK 11 die junge Frau kannte und gegebenenfalls würde identifizieren können. Deshalb rief manHalverstett an. Jedoch ohne ihm zu erklären, worum genau es eigentlich ging.
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Während das Rheinland unter
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