Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen
»Lediglich ein Rätsel bleibt nach wie vor ungelöst.«
»Und das wäre?«
»Na, Brindi. Er ist immer noch wie vom Erdboden verschluckt. Vermutlich liegt er seit Tagen tot in einem Straßengraben.«
»Schon möglich.« Katrin mied Manfreds Blick. Sie starrte aus dem Fenster. »Glaubst du, dass er es war?«
»Was war?«
»Die acht Frauen, die er eingesperrt und gequält haben soll.«
»Als ich damals darüber geschrieben habe, hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Warum auch? Er hatte schließlich gestanden. Und er wusste Details, die nur der Täter kennen konnte. Warum fragst du?«
»Diese Dagmar war offensichtlich davon überzeugt, dass er unschuldig ist.«
»Die hatte sich total verrannt. Sie hatte keine Beweise, soviel ich weiß. Vielleicht war sie auch tatsächlich sein neuntes Opfer. Wir werden es wohl nie erfahren. Ich glaube jedenfalls nach wie vor, dass er es war.«
»Warum tut jemand so was? Da muss doch etwas Schreckliches mit ihm passiert sein. In seiner Kindheit vielleicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ohne Grund so voller Hass ist.«
Manfred zuckte die Schultern. »Ich weiß von nichts Schrecklichem. Er ist sehr behütet mit seiner Mutter und seiner großen Schwester aufgewachsen. Der Vater hat sich aus dem Staub gemacht, als er noch ganz klein war, aber das reicht wohl kaum aus, um so auszurasten.«
»Weiß man Näheres darüber?«
»Er war Italiener. Irgendwo aus dem Süden, aus der Gegend von Neapel, glaube ich. Ist in die Heimat zurückgekehrt. Ich weiß nicht, warum. Ich erinnere mich allerdings an ein Zitat, dass ich irgendwo gelesen habe. Jemand hat geschrieben, er sei fortgegangen, weil ihm Deutschland zu kalt gewesen sei.«
Katrin musterte die Rückfronten der Häuser, die den Hinterhof säumten. Der Schnee war inzwischen vollständig weggetaut, und die Fassaden trotzten nackt, feucht und grau jedem Gefühl von Behaglichkeit. »Wie hat er das gemeint?«
Manfreds Augen waren ihrem Blick gefolgt. »Man kann eine Menge in so einen Satz hineininterpretieren, aber vielleicht meinte er wirklich einfach nur das Wetter.«
Katrin strich die Bettdecke glatt. »Manchmal macht mir das Leben richtig Angst. Dann möchte ich am liebsten gar nicht darüber nachdenken.«
»Dann halt es doch mit Scarlett O’Hara.«
Sie rutschte tiefer ins Kissen und lächelte.
»Gute Idee. Verschieben wir’s auf morgen.«
DANKSAGUNG
Ich danke allen, die mit ihrem Wissen, ihren Ideen und ihrer Geduld zur Entstehung dieses Buchs beigetragen haben. Alle Fehler, die sich dennoch eingeschlichen haben, gehen allein auf meine Kappe.
Mein besonderer Dank gilt Annelie Kreuzer, Christine Klewe, Frank Klewe, Heike Mostafa, Nina Hawranke, Ralf Klewe, Polizeihauptkommissar Klaus Dönecke, Dr. Heike Guckelsberger und Bärbel Füger, auf deren wertvolle, lebenskluge Beiträge ich in Zukunft werde verzichten müssen.
Und Martin Conrath für Inspiration und Liebe.
EPILOG
Der Plumpstead Cemetery liegt im Südosten von London, weitab vom lärmenden Zentrum, in einer Gegend, wo gleichförmige Reihen von Doppelhaushälften das Straßenbild bestimmen. Das Gelände ist hügelig und die Grabsteine scharen sich um eine erst vor wenigen Jahren renovierte Friedhofskapelle aus hellbraunem Sandstein. Wenn man den Friedhof durch das Tor vom Lodge Hill aus betritt, hat man eine atemberaubende Aussicht über die südlichen Stadtteile Londons, und bei klarem Wetter kann man sogar die Wolkenkratzer auf der Isle of Dogs sehen, jener Halbinsel, auf der früher einmal die Docklands waren, wo Schiffe mit Waren aus aller Welt anlegten.
Auf dem Friedhof selbst ist es vollkommen still. Graue Eichhörnchen huschen über die Wege und gelegentlich sieht man sogar einen Fuchs zwischen den Grabsteinen herschleichen, der sich durch ein Schlupfloch in der Mauer aus dem angrenzenden Wäldchen hierher verirrt hat. Wenn ein leichter Wind geht, hört man das leise Läuten eines kleinen Glöckchens, das jemand auf einem der Kindergräber platziert hat.
Mario Brindis Grab liegt weiter unten in der Nähe der Wickham Lane. Er wurde am Neujahrsmorgen beerdigt, an einem Tag, an dem dunkelgraue Wolken tief über der Stadt hingen und ein eisiger Nieselregen sich auf das Gesicht der einsamen Gestalt legte, die ihn auf seinem letzten Weg begleitete.
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