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Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen

Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen

Titel: Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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ist. Sie ist ja sozusagen tiefgekühlt. Wahrscheinlich erst ein paar Stunden, so wie es aussieht.« Wieder hielt sie abwartend inne. Das Schweigen des Polizeibeamten irritierte sie. Offensichtlich hatte ihr niemand mitgeteilt, dass er die Tote vermutlich kannte. Maren Lahnstein blickte fragend von Halverstett zu Kabritzky, die beide unverwandt auf die Frau im Schnee starrten.
    »Todesursache?«, fragte Halverstett schließlich, und seine Stimme war fast tonlos.
    »Schwer zu sagen«, antwortete die Ärztin. »Sie hat zahllose Hämatome am ganzen Körper und Würgemale am Hals. Da ist auch noch eine Verletzung am Hinterkopf. Ich weiß aber nicht, ob die wirklich tödlich war. Sicher bin ich mir allerdings, dass sie nicht hier zusammengeschlagen wurde. Jemand hat sie hierher geschafft, nachdem er ihr die Verletzungen beigebracht hat. Möglicherweise war sie da noch am Leben. Kann sein, dass sie schwer verletzt hier abgelegt wurde und dann erfroren ist.«
    Bei ihren letzten Worten hatte Kabritzky die linke Hand gehoben und vor das Gesicht gepresst. Halverstett hörte ihn schwer atmen. Er blickte kurz zu ihm, dann ging er auf den Leichnam zu. Kabritzky setzte sich ebenfalls in Bewegung. Seine Schritte waren jetzt nicht mehr fest, sondern unsicher, so als wären es die ersten seines Lebens, und das lag weder am Schnee noch an dem unebenen Waldboden. Die Medizinerin richtete den Lichtkegel der Taschenlampe auf das Gesicht der Frau.Halverstett genügte ein einziger kurzer Blick.
    Manfred Kabritzky ebenfalls. Er stieß einen Laut aus, halb Schluchzen, halb Stöhnen, dann sackten seine Knie weg. Halverstett packte seinen rechten Arm und stützte ihn. Dann führte er ihn behutsam durch den Wald zurück zum Parkplatz.

11
    Ruth Maiwald stand am Fenster und starrte in den Garten. Sie konnte nicht schlafen. Seit jener Zeit im Frühjahr vor drei Jahren fiel ihr das Schlafen schwer. Damals hatte sie sich im Bett herumgewälzt, und es waren die quälenden Fragen gewesen, die ihr den Schlaf geraubt hatten. Wo ist Carolin? Lebt sie? Geht es ihr gut? Hatte sie einen Unfall? Ist sie entführt worden? Werde ich sie lebend wiedersehen? Werde ich sie überhaupt je wiedersehen? Die letzte Frage hatte sie am schlimmsten gequält. Es war unvorstellbar grauenvoll, wenn einem ein Kind genommen wurde; die größte Qual jedoch war es, nicht einmal zu erfahren, was mit dem Kind geschehen war.
    Ruth wusste das. Sie lebte in Wersten, und hier wusste es jeder. Schon einmal war hier ein Mädchen verschwunden, wenige Jahre vor Carolin. Sie war viel jünger gewesen, gerade acht Jahre alt. Niemand wusste, was geschehen war. Sie war einfach nie wieder aufgetaucht. Bis heute nicht.
    Damals, als Carolin weg war, waren es die Fragen gewesen, die ihr keine Ruhe ließen. Später dann waren es die Antworten. Und die Selbstvorwürfe. Die suchten sie noch heute heim. Jeden Tag. Und vor allem jede Nacht.
    Ruth hörte, wie ihr Mann sich unruhig im Bett hin- und herwälzte. Auch er schlief schlecht. Auch ihm hatten die Ereignisse vor drei Jahren den Willen zum Leben geraubt. Helmut war Malermeister. Er hatte mit viel Fleiß einen kleinen Betrieb mit drei Angestellten aufgebaut und ein bescheidenes Vermögen erwirtschaftet. Im Jahr vor Carolins Verschwinden hatten sie das Grundstück in Wersten gekauft und ein Haus gebaut. Helmut hatte vieles daran selbst gemacht; die Bäder, die Fußböden und natürlich die Malerarbeiten. Manche Dinge waren noch nicht ganz fertig gewesen, als Carolin eines Abends nicht nach Hause gekommen war.
    Tagelang warteten sie, wie gelähmt, unfähig irgend-etwas anderes zu tun, als aus dem Fenster oder auf das Telefon zu starren, in der Hoffnung, dass sich endlich etwas tun würde. Sie hatten Glück. Carolin blieb nicht verschwunden. Nach fünf Tagen tauchte sie wieder auf. Ein Bauer hatte sie auf einem Feldweg in der Nähe von Knechtsteden gefunden, dürftig gekleidet, doch nur leicht verletzt. Sie waren heilfroh gewesen, dass sie ihr Kind wiederhatten. Jetzt würde alles wieder gut werden.
    Doch Carolin hatte sich verändert. Sie war blass und abgemagert. Sie ließ sich nicht anfassen, und sie wollte nichts essen. Ruth kochte alle ihre Lieblingsspeisen, versuchte, ihrer Tochter jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Doch es war, als hätte Carolin keine Wünsche mehr. Sie rührte weder die vielen leckeren Naschereien an, die ihre Mutter ihr hinstellte, noch beachtete sie die Blumen und Geschenke, die wohlmeinende Nachbarn vorbeibrachten.

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