Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
Ihre Hände waren zusammengebunden und über ihrem Kopf an die Latten des ersten Verschlags gefesselt. Das Mädchen hing schlaff davor, es war bewusstlos. Katrin stürzte zu ihm. Sie versuchte, den Knoten zu finden, doch der Qualm war zu dicht, um etwas zu erkennen. Kurzentschlossen trat sie mit dem Fuß kräftig gegen die Latten. Holz splitterte. Noch einmal trat sie zu. Jetzt brach die Latte. Katrin zog Jule zu sich und hob sie hoch. Sie war viel schwerer, als sie gedacht hatte. Nur mit Mühe schaffte sie es, den schlaffen Körper zurück durch den Gang zu tragen. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, in ihrem Schädel pochte es, die Kellerwände drehten sich, ihre Beine knickten ein. Der Boden war hart, ein stechender Schmerz brannte sich in ihre Stirn, als sie mit dem Gesicht aufschlug. Dann spürte sie nichts mehr.
19
Etwas drückte auf ihr Gesicht. Katrin schnappte nach Luft und versuchte, das Ding von ihrem Mund wegzuschieben , doch es ließ sich nicht bewegen. Sie wachte auf. Ein Paar braune Augen sahen sie an.
»Da sind Sie ja wieder.«
Der Fremde nahm das Ding von ihrem Gesicht. Er trug einen weißen Kittel. Jetzt erkannte sie das Innere eines Rettungswagens. Sie versuchte, sich aufzurichten. »Was ist denn –?«, setzte sie an, doch ihre Stimme war zu schwach.
»Es ist alles in Ordnung.« Der Mann drückte sie sanft zurück auf die Liege. »Sie haben eine leichte Rauchvergiftung. Halb so wild. Das Mädchen und seine Mutter hat es schlimmer erwischt, aber es besteht keine Lebensgefahr. Sie sind auf dem Weg ins Krankenhaus.«
Katrin atmete tief durch. Langsam kam sie zu sich, spürte ein Ziehen im linken Bein, einen stechenden Schmerz an der Stirn, als der Sanitäter ihr ein Pflaster auf die Platzwunde klebte. Von draußen drangen Geräusche zu ihr. Ein Scheppern. Laute Rufe. Eine Stimme, die ihr bekannt vorkam.
»Natürlich kann ich da rein. Versuchen Sie mal, mich daran zu hindern!« Manfred tauchte an der Tür auf. Als er Katrin sah, lächelte er erleichtert. »Du machst vielleicht Sachen!« Er versuchte, in den Wagen zu klettern, doch sein verstauchter Knöchel machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
»Warte«, rief Katrin, »ich komme raus.« Ihre Stimme klang annähernd wieder nach ihr selbst. Sie sah den Sanitäter an, der nickte und ihr aufhalf.
»Aber seien Sie vorsichtig.«
Mit seiner Hilfe krabbelte sie aus dem Wagen. Manfred schloss sie in die Arme. Sekundenlang blieben sie einfach so stehen, Feuerwehrmänner rannten an ihnen vorbei, ein Polizist brüllte Befehle, doch sie nahmen nichts davon wahr. Katrin hätte Manfred am liebsten nie wieder losgelassen, doch in dem Augenblick hielt ein Wagen dicht neben ihnen. Klaus Halverstett und Rita Schmitt sprangen heraus. Sie wechselten ein paar Worte mit einem Streifenbeamten, der aufgeregt auf sie einredete, dann ging Rita auf einen der Feuerwehrmänner zu, um mit ihm zu sprechen. Halverstett rief ihr noch etwas zu und näherte sich dann Katrin und Manfred.
Katrins Knie wurden weich.
Halverstett blieb wortlos vor ihnen stehen und musterte sie. »Setzen wir uns in meinen Wagen«, sagte er schließlich und marschierte voraus.
»Die Sache geht auf meine Kappe«, sagte Manfred, als sie beide auf der Rückbank saßen. »Ich habe Katrin überredet. Schließlich ging es darum, das Leben dieses Mädchens und seiner Mutter zu retten.«
»Habe ich irgendwas gesagt?« Halverstett starrte aus dem Fenster. Dann drehte er sich um. »Ich hatte gerade ein anderes Gespräch, als sie versucht haben, mich zu erreichen, Katrin. Ich bin froh, dass sie sich auf eigene Faust auf den Weg gemacht haben. Diesmal! « Er schwieg.
»Irgendeine Spur von Benedikt Simons?«, fragte Manfred in die Stille.
Halverstett schüttelte den Kopf.
Rita Schmitt öffnete die hintere Wagentür. »Ihre?« Sie hielt eine beigefarbene Steppjacke ins Auto, Katrin griff mechanisch danach. »Sie haben der Kleinen das Leben gerettet.« Einen Moment lang sah Rita Katrin an, als wolle sie noch mehr sagen, dann wandte sie sich an ihren Kollegen. »Da will dich jemand sprechen, Klaus.«
Halverstett nickte und stieß die Wagentür auf. »Lassen Sie sich von einem Streifenwagen nach Hause bringen. Und Sie, Kabritzky , sollten den Fuß versorgen lassen.« Er stieg aus und beugte sich noch einmal in den Wagen. »Morgen früh auf dem Präsidium. Alle beide. Sie wissen ja, wo Sie mich finden.« Er knallte die Tür zu und stapfte davon.
Katrin blickte auf Manfreds Fuß.
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