Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
zu verhindern. Wir können nicht überall sein.«
Halverstett stand auf und starrte in den Nebel, der sich immer dichter über den Parkplatz vor dem Präsidium legte. Inzwischen war es fast fünf, und die Dämmerung hatte eingesetzt. Die Wahrscheinlichkeit, die drei rechtzeitig zu finden, wurde immer geringer. »Ich versuche die ganze Zeit, mich in ihn hineinzuversetzen. Was würde ich tun? Wie würde ich meine Frau und meine Tochter umbringen wollen, von denen ich glaube, dass sie mich verraten haben?«
Sein Handy klingelte. Maren Lahnstein.
»Wie sieht es aus?«
»Nicht gut.« Halverstett drückte seine Stirn an die kühle Fensterscheibe, froh, ihre Stimme zu hören, verunsichert, da Rita jedes Wort mithörte, das er sagte, und gereizt, weil es der falsche Augenblick war.
»Ich habe gehört, dass er seine Frau und seine Tochter entführt hat. Glauben Sie, er würde ihnen wirklich etwas antun?«
»Davon müssen wir ausgehen, ja.«
»Dann will ich nicht länger stören. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich an Sie denke.«
Halverstett schloss die Augen. Sekundenlang verschwanden der Parkplatz, sein Büro, sogar der Henker und seine Opfer aus seinem Leben. Leere hüllte ihn ein wie eine warme Decke. Vergessen.
Als er zu einer Antwort ansetzte, hatte sie die Verbindung bereits unterbrochen.
*
Das heiße Wasser tat gut. Es strömte ihren Rücken hinunter und wärmte sie, doch es spülte nicht die Schuldgefühle weg, die sie auffraßen wie ein ausgehungertes Monster, das sie von innen her verschlang. Katrin drehte den Wasserhahn zu und stieg aus der Dusche. Sie wickelte sich in das große rosa Badetuch und tappte barfuß in die Küche, wo Manfred den Tisch gedeckt hatte.
»Ich dachte schon, du wärst unter der Dusche eingeschlafen. Hat es gutgetan ?«
»Sehr.« Katrin ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Willst du dir nichts anziehen? Nicht, dass du dich erkältest.« Er sah Katrins Blick und zuckte mit den Schultern. »Ganz wie du meinst.« Schwungvoll knallte er ein Holzbrett auf den Tisch und platzierte darauf eine große Pfanne mit Bratkartoffeln. »Hunger?«
»Ich glaube schon.«
»Das hat nichts mit Glauben zu tun.« Manfred füllte die Teller. »Bitte versuch, nicht an diese Henkergeschichte zu denken. Wenigstens für eine halbe Stunde. Mach dich nicht verrückt.«
Katrin griff nach der Gabel. »Du hast gut reden.«
»Ich weiß, dass du dir Vorwürfe machst.« Manfred schob sich eine Ladung Bratkartoffeln in den Mund und verzog das Gesicht, als er sich die Zunge verbrannte. »Du hast dich ja auch ziemlich blöd benommen. Aber passiert ist passiert. Du kannst es nicht ungeschehen machen. Noch gibt es keine neuen Horrormeldungen. Vielleicht findet die Polizei sie ja rechtzeitig. Okay? Und jetzt wechseln wir das Thema.«
»Ganz wie du meinst.«
»Vorhin hat übrigens deine Mutter angerufen. Ob wir am Samstag zum Essen kommen.«
»Ach ja.« Katrin schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Sie hat letzte Woche schon mal angerufen. Als ich bei – na ja, jedenfalls hat sie angerufen. Ich hatte versprochen zurückzurufen. Aber ich bin nicht dazu gekommen.«
»Ich habe zugesagt.« Manfred kaute. »Ist dir doch recht?«
Katrin nickte abwesend.
Den Rest der Mahlzeit bemühten sie sich, über belanglose Dinge zu sprechen. Sie machten sogar Urlaubspläne. Katrin wollte nach Irland, Manfred lieber irgendwohin, wo es wärmer und sonniger war. Am Ende warfen sie eine Münze, und Manfred tröstete sich damit, dass es in Irland wenigstens gemütliche Pubs und gutes Bier gab, egal, wie heftig es draußen regnete.
Katrin schlüpfte in Jeans und Pullover, während Manfred die Küche in Ordnung brachte. Danach machten sie es sich im Wohnzimmer bequem. Manfred setzte sich auf die Couch, Katrin legte den Kopf auf seinen Schoß und streckte die Beine aus. Sie schloss die Augen.
»Geht es dir besser?«, fragte Manfred.
Sie nickte stumm.
»Soll ich dir was vorlesen?« Er angelte ein Buch aus dem Regal, das hinter der Couch stand. »Was haben wir denn hier? Grimms Märchen. Wie wär’s damit?«
»Keine Horrorgeschichten bitte«, murmelte Katrin. »Hast du nichts Netteres im Angebot?«
»Doch sicher. Allerdings hast du hier bei jeder Geschichte ein garantiertes Happy End. Ein unschlagbarer Vorzug. Also, überleg es dir.«
»Ja, neben Teufeln, Rabeneltern und Menschenfressern. Wunderbar.«
»Hexen, nicht zu vergessen. Aber die werden ja verbrannt.«
Katrins Kopf schoss hoch. »Sag das noch
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